Beechey nennt die Strömung, welche in der Strasse von Dover noch
stattfindet, wenn am Ufer und im englischen Kanal und der Nordsee schon
Stauwasser eingetreten ist, den „Zwischenstrom“. Die Erklärung dieser Er-
scheinung liegt darin, dass am Ufer in Folge des rasch ansteigenden Meeres-
bodens die Zeit des Stromwechsels näher an die Zeit von Hochwasser heran-
gebracht wird, als in der tieferen Mitte des Kanals. Der Strom kentert daher
am Ufer sehr nahe gleichzeitig mit Hochwasser, während er in der Mitte des
Kanals erst nach Hochwasser wechselt. Hierzu kommt indess noch der Umstand
hinzu, dass die Orte, welche ausserhalb der Strasse von Dover bis zur Themse-
mündung hin liegen, etwas später Hochwasser haben wie Dover, der Strom
muss also dort noch nach Osten fliessen, wenn bei Dover Hochwasser schon
vorüber ist, und nach Westen, nachdem Dover schon Niedrigwasser gehabt
hat, soweit die Orte im Bereich der aus dem Kanal kommenden und umgekehrt,
soweit sie im Bereich der aus der Nordsee kommenden Fluthwelle liegen. Denn
kein Hinderniss, welches die Welle findet, ist im Stande, sie so zu beeinflussen,
dass der Stromwechsel früher einträte, als Hoch- oder Niedrigwasser.
Die Verschiebung der Begegnungs- oder Trennungslinie der beiden in
der Strasse von Dover auf einander stossenden Strömungen von der Linie
Beechey Head— Pointe d’ Ailly nach North Foreland—Dünkirchen lässt sich einfach
und ungezwungen dadurch erklären, dass, wie die Beobachtungen ergeben, die
Geschwindigkeit des Stroms im englischen Kanal etwas grösser ist, wie in der
Nordsee, was wiederum eine Folge des im Kanal grösseren Fluthwechsels ist,
wozu vielleicht noch ein geringer Unterschied in der Zeit des Umsetzens des
Stroms im Kanal und in der Nordsee kommt, um welchen der Strom in der
Nordsee früher kentert, wie im Kanal; indess ist dies letztere für die Erklärung
der Sache nicht nothwendig. Der Vorgang ist dann folgender. Beginnen wir
mit Niedrigwasser. In der Strasse von Dover geht der Zwischenstrom von
Ost nach West, beim Kentern des Stroms vereinigt sich die Stiömung in der
Nordsee mit dem Zwischenstrom und trifft auf den Kanalstrom auf der Linie
Beechey Head— Pointe d’Ailly. Beide Strömungen gewinnen an Stärke, die Kanal-
strömung überwiegt aber die Nordseeströmung um etwas und drängt die letztere
ganz langsam weiter nach Osten, bis bei Hochwasser die Trennungslinie auf
der Richtung North Foreland—D ünkirchen liegt. Nun tritt Stauwasser ein mit
Ausnahme der Strasse von Dover, wo der Strom nach Osten zu fliessen fort-
fährt. Nach dem Kentern vereinigt sich der Zwischenstrom mit dem Nordsee-
strom und die Trennungslinie der Kanal- und Nordseeströmung liegt wieder bei
Beechey Head— Pointe d’Ailly. Die stärkere Kanalströmung zieht allmählich die
östlicher liegenden Wassertheile in ihren Bereich und die Trennungslinie rückt
allmählich nach Osten, worauf sich bei Niedrigwasser dasselbe Spiel wie vorher
wiederholt.
Was endlich die rotatorischen Strömungen betrifft, so hat schon Airy
eine vollkommene Erklärung für dieselben gegeben, und können wir nichts
besseres thun, als diese Erklärung hier zu reproduciren. („Tides and waves“
Art. 359 ff.)
Zunächst macht Airy darauf aufmerksam, dass in einem Kanale, der in
der Mitte tiefer ist wie an den Seiten, der Scheitel der Welle sich nicht in
einer geraden Linie quer über den Kanal erstrecken könne, sondern dass der-
selbe eine gekrümmte Gestalt annehmen müsse. Dor Grund hiervon liegt darin,
dass die Geschwindigkeit, mit welcher sich die Welle fortpflanzt, der Quadrat-
wurzel aus der Tiefe des Wassers direct proportional ist; die Welle wird sich
daher an den flacheren Seiten mit geringerer Geschwindigkeit bewegen als in
der tieferen Mitte, in der Mitte wird der Kamm der Welle also voreilen, an
den Seiten des Kanals aber zurückbleiben und eine gekrümmte Gestalt an-
nehmen, welche an der Küste dieser nahe parallel sein wird. Einmal diese
Form erreicht, pflanzt sich der Kamm der Welle ohne wesentliche Aenderung
so fort, und da das Fortschreiten der Welle an jedem Punkte in der Richtung
der Normalen der Curve an jenem Punkte geschieht, so wird die Welle an den
Seiten des Kanals sich nahe senkrecht auf die Küste, in der Mitte aber parallel
mit der Achse des Kanals bewegen. Die Wassertheilchen bewegen sich in der-
selben Richtung, wohin die Welle fortschreitet, das Wasser wird daher in der
Nähe der Küste auf diese zu und von ihr weg, in der Mitte des Kanals aber