Der Krieg 1870/71 unterbrach die hydrographischen und kartographischen Ar-
beiten, so daß erst 1882 die notwendigsten 44 deutschen Seekarten der deutschen
Küste der Nordsee, der Ostsee (einschl. Sund und Belte) und eine kleinmaßstäbige
Karte des englischen Kanals vorlagen. Angesichts der Qualität der Karten und aus
der Erkenntnis, daß ein räumlich so eingeengtes Seekartenwerk die Bedürfnisse der
deutschen Schiffahrt nicht befriedigen konnte, bewilligte der Reichstag 1902 die
damals enorme Summe von 2,0 Mio. Mark für die folgenden 10 Jahre. Ziel war ein
weltweites deutsches Seekartenwerk mit etwa 2400 Karten. Zu Beginn des ersten
Weltkrieges lagen davon 508 Seekarten vor.
Der Ausgang des ersten Weltkrieges brachte für die deutsche Hydrographie
einen schmerzlichen Rückschlag. Hier wirkte sich besonders verhängnisvoll aus, daß
die Hydrographie zur Marine gehörte. Viele Karten mußten, da sie mit dem noch
vorhandenen geringen Personal bei kargen Mitteln nicht fortgeführt werden konnten,
eingezogen werden. Nur langsam erholte sich die deutsche amtliche Hydrographie
wieder. Bei Ende des Zweiten Weltkrieges lagen etwa 1050 Seekarten und 51 See-
handbücher vor.
Die Folgen der Kapitulation im Jahre 1945 waren für die deutsche amtliche
Hydrographie noch schwerwiegender als beim Ende des Ersten Weltkrieges. 1943
war das Seekartenwerk aus Berlin nach Kaufbeuren im Allgäu verlegt worden. Noch
Anfang April 1945 hatte es den Befehl erhalten, die Bearbeitung und den Druck der
Nordsee- und der Ostseekarten nach Hamburg zu verlagern. Zwei Versuche, sich
nach dem Norden durchzuschlagen, blieben erfolglos. So endete das Kriegstagebuch
mit der Eintragung „27.4.1945 Besetzung der Stadt Kaufbeuren durch USA-Trup-
pen.“
Welche Bedeutung Seevermessung, Seekarten und nautischen Veröffentlichun-
gen zukommt, erkennt man daran, daß bereits im Mai 1945 die Vermessung wieder
fortgeführt wurde. Auch das nach Kaufbeuren im Allgäu verlegte Seekartenwerk
nahm Ende Juni 1945 dort seine Tätigkeit unter Aufsicht eines US-amerikanischen
und eines britischen Marineoffiziers als „German Naval Chart Establishment“ wieder
auf. Im Oktober 1945 erschien die erste Nummer der „Nachrichten für Seefahrer“.
Der neue Start der amtlichen deutschen Hydrographie war mit fast unüberwind-
lich erscheinenden Schwierigkeiten belastet: Das Fachpersonal in Gefangenschaft,
interniert oder ohne bekannte Anschrift in West- und Ostdeutschland verstreut, der
Maschinenpark vernichtet, Dienst- und Arbeitsräume in dem stark zerstörten Ham-
burg nicht vorhanden, Wohnraum für die Mitarbeiter nicht verfügbar. Ließen sich
die dringend benötigten Fachkräfte außerhalb von Hamburg ausfindig machen, so
erhielten sie keine Aufenthaltsgenehmigung oder höchstens eine „Aufenthaltsgeneh-
migung ohne Inanspruchnahme von Wohnräumen“. Die Folge war, daß noch bis
1949 Familien nicht zusammengeführt werden konnten. Die Mitarbeiter waren auf
sinem Wohnschiff untergebracht, oder die Arbeitsräume mußten auch als Wohn-
und Schlafräume dienen.
In den ersten Jahren nach 1945 war das DHI auf 13 verschiedene Orte in der
Stadt verstreut. Vor der Währungsreform erschwerten — wie es in damaligen Berich-
ten zu lesen ist — immer wieder fehlendes Material, mangelnde oder nicht vorhan-
dene Heizungsmöglichkeiten und die unzureichende Versorgung mit Lebensmitteln
die Arbeiten außerordentlich. Bezeichnend ist eine Eintragung im Tagebuch des
Leiters der Kartographie vom 18. 09. 1947 „Kartoffelentladung für das Institut, alle
verfügbaren Kräfte eingesetzt.“ und eine Bemerkung im Jahresbericht 1948 des DHI:
„Im Laufe des Jahres 1948 hat der technische Wiederaufbau des Deut-
schen Seekartenwerkes weitere wesentliche Fortschritte gemacht . . .
Wenn dies alles auch länger als erhofft dauerte, so kann es doch heute
als besonderer Glücksumstand bezeichnet werden, daß der Aufbau