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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 1901 No. 1 —
auszukommen. Die Drachen-Versuche der Seewarte haben vom Beginn im Juli 1898 bis jetzt im Ganzen
8000 M. gekostet, einschliesslich der unzähligen orientirenden Experimente und verlorenen Mühen, so wie
eines Theiles der Drachenausrüstung der deutschen Südpolar-Expedition, die von der Seewarte leihweise über
lassen wurde. Aber diese Versuche haben in der kalten Jahreszeit und aus Mangel an Mitteln bis in den
Frühsommer hinein geruht; auch ist, da ich nur einen Theil meiner Zeit dieser Sache widmen konnte und
wegen der gefährlichen Lage inmitten der Grossstadt, eine möglichste Häufung der Aufstiege, wie sie bei
regelmässigem Betriebe stattfinden würde, gar nicht angestrebt worden.
Der obige Kostenanschlag zeigt immerhin, dass wissenschaftliche Drachenaufstiege nicht nur für staat
liche Anstalten, sondern auch für einen reichen Privatmann zu den leicht durchzuführenden Unternehmungen
gehören. Die Wissenschaft bedarf solcher Aufstiege in grösster Zahl und Mannigfaltigkeit; sie führen in
ein neues, an Anregungen unerschöpflich reiches Gebiet ein, dessen Werth für die Erkenntniss der meteo
rologischen Vorgänge sich wohl ahnen, aber noch gar nicht übersehen lässt. Der grosse Beiz, den sie neben
ihrem streng wissenschaftlichen Werthe besitzen, lässt hoffen, dass sich begüterte Liebhaber des Sports
finden werden, die sich unter guter fachmännischer Berathung dieser Sache widmen möchten und so dazu
beitragen werden, die Meteorologie aus dem Kleben an der Erdoberfläche zu befreien und in die grosse
Werkstatt zu unseren Häupten hinaufzuführen. Wir dürfen darauf hoffen, denn ewig wahr bleibt das
Göthe’sche Wort, es sei dem Menschen „eingeboren, dass sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt, wenn
über uns, im blauen Raum verloren, ihr schmetternd Lied die Lerche singt“.
3. Abschnitt.
Bedingungen des Orachenfluges.
a) Die wirkenden Kräfte. Der Flug des Drachens vollzieht sich unter der Einwirkung von drei
Kräften oder Kräftegruppen:
FF, dem Druck des Windes,
6, dem Gewicht des Drachens,
L, dem Zug der Drachenleine.
Bei W ist zu unterscheiden zwischen
lij dem „Normaldruck“ des Windes auf die schiefe Ebene des Drachens, d. i. der zu dessen Fläche
rechtwinkligen Komponente des horizontalen Winddrucks, und
W 2 dem „Rumpfwiderstand“ (oder „Stirnwiderstand“), der sich zusammensetzt aus den übrigen Wirkungen
des Windes auf alle Theile des Drachens: auf den Rahmen, die Kanten, auf lose, flatternde Theile
des Zeuges, den Schwanz u. s. w. Die Richtung dieses Druckes fällt mit jener des Windes nahe
zusammen, meist mit geringer Neigung abwärts.
Die Kraft W% ist eine unvermeidliche, jedoch nicht zum Wesen des Drachens gehörende und unerwünschte
Beigabe, deren Verkleinerung eine, je nach dem verfolgten Zweck, mehr oder weniger wichtige Aufgabe des
rationellen Drachenbaus sein muss. Dagegen sind die drei übrigen Kräfte Grundbedingungen für den Drachen
flug, und zwar:
W\ als die Kraft, die den Drachen von seinem Anheftungspunkte zu entfernen sucht und
L als diejenige, die ihm nicht erlaubt, dieser Kraft frei zu folgen,
G als die Kraft, die den Drachen zur Schwerkraft orientirt.
Wäre der Angriffspunkt von L im Zentrum der Drachenfläche, so würde auch der von W dahin fallen,
der Drache würde nicht steigen, sondern L würde mit der Windrichtung zusammen fallen und die Ebene
des Drachens senkrecht, zum Winde rechtwinklig, stehen.*) Erst durch die exzentrische Anheftung der
Leine gelangt der Drache dazu, dem Winde eine schiefe Ebene zu bieten und aus dessen Druck einen zur
Windrichtung rechtwinklig gerichteten Antrieb zu gewinnen. Wäre aber die Neigungsrichtung dieser schiefen
*) Dass das Gleichgewicht der Scheibe, der in diesem Falle die wesentlichsten Züge eines Drachens fehlen würden,
bei Befestigung in der Mitte ein sehr schwankendes sein würde, thnt nichts zur Sache; durch eine passende Bucht könnte
es ebenso leidlich stabil gemacht werden, wie das eines Fallschirms.