Die Küste, 75 MUSTOK (2009), 51-70
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Umrechnung für jeden einzelnen Gitterpunkt der Abstand zur Küste entgegen der Wind
richtung sowie die aktuelle thermische Schichtung berücksichtigt werden. Letztere wurde
aus den bekannten Lufttemperaturdaten des jeweiligen Termins sowie den klimatologischen
Monatsmittelwerten der oberflächennahen Temperatur von Nord- und Ostsee (Janssen et
ab, 1999) grob geschätzt. Weht der Wind von Land auf die See (ablandiger Wind), macht sich
in Küstennähe zunächst noch die abbremsende Wirkung der rauhen Landoberflächen be
merkbar. Infolge der Reibung durch Meeres- und Landoberfläche weht der Wind nicht iso
barenparallel, sondern in einem Winkel zum niedrigen Druck hin. Dieser Winkel wurde hier
einheitlich mit 30 Grad angesetzt. Eine Berücksichtigung des Einflusses der Küstendistanz
auf die Windgeschwindigkeit der einzelnen Gitterpunktwerte fand nicht statt.
Da in der Literatur (z.B. Baensch, 1875; Kiecksee, 1972) ein Auffüllen der Ostsee
durch langanhaltende westliche Winde vor dem Sturmhochwasser als wichtige Ursache für
die extremen Wasserstände am 13.11. angeführt werden, wurde die Rekonstruktion auf die
großräumige Windsituation der beiden vorangegangenen Wochen ausgedehnt. Das Untersu
chungsgebiet erstreckte sich deshalb über ganz Nordeuropa vom Nordostatlantik westlich
der Britischen Inseln bis zum Baltikum. Der Untersuchungszeitraum reichte vom 1. bis zum
14. November 1872.
Zur Analyse der Wettersituation wurden von den nationalen meteorologischen Dien
sten die Luft- und Temperaturdaten aus dem fraglichen Zeitraum angefordert. Es gelang, von
mehr als 230 Stationen, davon mehr als 175 mit mindestens 2 Meldungen pro Tag, Daten des
Luftdrucks und der Temperatur von November 1872 zusammenzutragen (Abb. 5).
Die Luftdruckdaten lagen in unterschiedlichen Reduktionszuständen vor und besaßen,
wie zu jener Zeit üblich, uneinheitliche Maßeinheiten. Auch die Orts- und Zeitangaben wa
ren oft nicht eindeutig. Deshalb war zunächst eine ausführliche Prüfung und Standardisie
rung der Daten notwendig.
Auf Grundlage der geprüften Datensätze erfolgte die manuelle synoptische Analyse der
Luftdruckfelder für je 3 Termine täglich im Zeitraum 1. bis 11. November und für je 6 Ter-