Der lange Weg zur ersten Expedition — eine Chronik
Jedes wissenschaftliche oder technische Projekt hat seine eigene Geschichte: begin-
nend mit der ersten vagen Idee, die ein Einzelner mit wenigen anderen diskutiert, die
von weiteren aufgegriffen und schließlich bis zur Konkretisierung formuliert wird —
wobei nicht nur die technischen, sondern auch finanzielle Aspekte, juristische Fragen
usw. berücksichtigt werden müssen — oft ein dornenvoller Weg, der durchaus nicht
immer erfolgreich zum Ziel führt.
Wann genau und von wem der erste Anstoß zum Neubau eines größeren bundes-
deutschen Forschungsschiffes erfolgte, verliert sich im undokumentierten Dunkel der
turbulenten Nachkriegsgeschichte: Diskussionen begannen wohl schon in der Mitte der
fünfziger Jahre.
Wie war damals die Situation? Das erste Jahrzehnt des Wiederaufbaus in der Bun-
desrepublik war durch eine vielfach stürmische Entwicklung (das „Wirtschaftswunder“)
gekennzeichnet, die sich aber erst verzögert auch in der Forschung bemerkbar machte —
manche alliierten Verbote schränkten die Möglichkeiten ein. Die Meeresforschung lag
zwar nicht völlig darnieder: es gab an der Kieler Universität das nach dem Kriege von
Georg Wüst übernommene kleine Institut für Meereskunde (mit einem Personalbestand
von kaum 15 Personen!), ausgestattet mit einem als Forschungskutter umgebauten ehe-
maligen Kriegsfischkutter „Südfall“ (später „Hermann Wattenberg“); es gab die Biolo-
gische Anstalt, ehemals Helgoland, in ihrem Exil in List auf Sylt, die über einen ähnlichen
Kutter verfügte („Uthörn“), und das von Günter Böhnecke geleitete Deutsche Hydrogra-
phische Institut in Hamburg mit zwei meereskundlichen Abteilungen, das neben einigen
kleinen Vermessungsbooten seit 1949 das Vermessungs- und Forschungsschiff „Gauß“
betrieb — einen umgebauten ehemaligen Wassertanker der Marine. Seit 1955 gab es
immerhin einen echten Neubau: das Fischereiforschungsschiff „Anton Dohrn“, das der
Bundesforschungsanstalt für Fischerei in Hamburg bzw. der Deutschen Wissenschaft-
lichen Kommission für Meeresforschung zur Verfügung stand — ein nach dem Muster der
damals üblichen Seitenfänger-Fischdampfer konstruiertes Schiff (bei dem aus Ersparnis-
gründen ein neuer Schiffskörper um eine bereits betagte Dampfmaschine gebaut wurde!).
Die beiden letztgenannten Schiffe waren, im Vergleich zu den Kuttern, immerhin in
beschränktem Maße hochseetüchtig. ;
Sie wurden daher auch beide während der ersten größeren internationalen meeres-
kundlichen Aktion nach dem Kriege, im Geophysikalischen Jahr (IGY) 1957/58, wieder-
holt zu mehrmonatigen Expeditionen im Nordatlantik eingesetzt. Dabei hatten sie z. T.
schwerste Stürme abzuwettern, aber auch schon bei geringeren Windstärken wurden
bald die wetterbedingten Grenzen der Arbeitsmöglichkeiten allzu deutlich. Die be-
schränkte technische Ausrüstung dieser kleinen Schiffe (beide unter 1000 BRT) bedeu-
tete zudem den Verzicht auf manche wünschenswerten Teile der verschiedenen Diszipli-
nen (z. B. Arbeiten mit schweren geologischen oder Fischereigeräten), und schließlich
war auch die Zahl der Plätze für „Eingeschiffte“, d. h. wissenschaftlich-technisches
Personal, für viele Aufgaben zu klein, insbesondere wenn es um interdisziplinare Zusam-
menarbeit ging.
Als in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre auf internationaler Ebene Pläne für
eine intensive Untersuchung des Indischen Ozeans diskutiert wurden, ergab sich aus der
Frage einer deutschen Beteiligung ein wichtiger neuer Anstoß, sich um ein modernes, für
diesen Zweck geeignetes Forschungsschiff zu bemühen. Günter Dietrich schrieb darüber
(1965) in den „Meteor-Forschungsberichten“:
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