Die Umsetzung des SRÜ in nationalen Anweisungen für die Streitkräfte
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stellt werden, daß die Bestimmung der seewärtigen Grenze des Festlandsockels
mit diesen Vorschriften unvereinbar ist.
Die soeben skizzierte Rechtslage verdeutlicht, daß die Küstenstaaten in der über
dem Meeresboden befindlichen Wassersäule keine souveränen Rechte ausüben,
wenn sie nicht gleichzeitig eine EEZ proklamiert haben. In bezug auf die Pflichten
der Konfliktparteien in neutralen Festlandsockelgebieten kann festgehalten wer
den, daß diese sich nicht von den Pflichten unterscheiden, denen sie in der neu
tralen EEZ unterliegen, soweit die Rechte des neutralen Küstenstaates am Mee
resboden und -Untergrund betroffen sind. 185 Daher ist es den Parteien eines in
ternationalen bewaffneten Konflikts zur See nach Maßgabe des Neutralitätsrechts
nicht untersagt, auf oder im neutralen Festlandsockel Waffen oder Unterwasser-
Überwachungsanlagen einzusetzen bzw. zu errichten, wenn dadurch die souverä
nen Rechte des Küstenstaates auf Erforschung und Ausbeutung der natürlichen
Ressourcen nicht ungebührlich beeinträchtigt werden. 186
C. Hohe See/Seegebiete jenseits küstenstaatlicher Vorzugsrechte
I. Keine Beschränkung auf die Küstengewässer der Konfliktparteien
Entsprechend dem traditionellen Seekriegsrecht enthalten die hier im Mittelpunkt
der Untersuchung stehenden militärischen Handbücher keine Vorschriften, die
eine räumliche Begrenzung des Seekriegsgebiets auf die Küstengewässer der
Konfliktparteien bewirken. Die Gebiete der Hohen See - oder besser: die Seegebie
te jenseits küstenstaatlicher Vorzugsrechte - gehören mithin zum allgemeinen
Seekriegsgebiet mit der Folge, daß Seekriegsmaßnahmen dort grundsätzlich zu
lässig sind.
Dem stehen insbesondere nicht die sog. "Klauseln der friedlichen Nutzung" des
SRÜ 1982 187 entgegen. Bekanntlich werden insoweit unterschiedliche Interpreta
tionen vertreten. Während die einen in den Klauseln eigenständige normative In
185 So auch H.B. Robertson Jr., The "New" Law of the Sea (Fn. 22), S. 28 ff.
186 So auch ZDv 15/2, Nr. 1013: "Dazu (= Hohe See) zählen auch die Festlandsockelgebiete neu
traler bzw. nicht am Konflikt beteiligter Staaten, jedoch sind auch hier die Rechte der betrof
fenen Küsten- bzw. Archipelstaaten gebührend zu berücksichtigen." Zum Meinungsstand der
militärischen Nutzung des Festlandsockels eines anderen Staates in Friedenszeiten vgl. statt
vieler R. Zedalis, Foreign State Military Use of Another State 1 s Continental Shelf and Interna
tional Law of the Sea, Rutgers L.J. 16 (1984), 1-113.
187 Art. 58 Abs. 2, 88, 141, 143 Abs. 1, 147 Abs. 2 lit. d), 240 lit. a), 246 Abs. 3 und 301. Art. 88
lautet: "Die Hohe See ist friedlichen Zwecken Vorbehalten." Art. 301: "Bei der Ausübung ihrer
Rechte und in Erfüllung ihrer Pflichten aufgrund dieses Übereinkommens enthalten sich die
Vertragsstaaten jeder Androhung oder Anwendung von Gewalt, die gegen die territoriale Un
versehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtet oder sonst mit den in
der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Grundsätzen des Völkerrechts unvereinbar
ist."