2 Atmosphärenphysik
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System Nordsee
Nordseeraum vorherrschende schwachwindige NW-Zirkulation ist an die Ausdehnung
des Azorenhochs nach Westeuropa gebunden. Der graduelle Übergang zu einer star
ken SW-Drift im Herbst geht mit der allmählichen Intensivierung der Tiefdruckaktivität
im Nordatlantik und Südverlagerung der Polarfront ab Mitte August einher. Die saiso
nale Migration der Polarfront regelt den relativen Einfluss polarer und subtropischer
Luftmassen, der sich in der wechselnden Dominanz von Islandtief bzw. Azorenhoch
widerspiegelt. Die besondere geographische Lage der Nordsee im Übergangsbereich
von Islandtief und Azorenhoch bedingt die Unterdrückung von hybriden und wirbel
haften Zirkulationsmustern, die auf kürzeren Zeitskalen für transiente Drucksysteme
nicht nur charakteristisch sind, sondern auch vorherrschen (z. B. Tab. 2-2, 5. 44)
Monatliche und saisonale MSLP-Verteilungen für die Jahre 2006 und 2007 sind in
Abb.2-13ff. gemeinsam mit den klimatologischen Referenzzuständen des Zeitraums
1971 -2000 sowie den Abweichungen von dieser Klimatologie (Anomalien) darge
stellt. Die Abbildungen decken jeweils eine Jahreszeit ab und sind für die Jahre 2006
und 2007 fortlaufend ab S. 77 wiedergegeben. Die aktuellen Verteilungsmuster las
sen sich als Überlagerungen der Klimatologie- und Anomalieverteilungen auffassen.
So resultiert beispielsweise die S-Anströmung im Winter 2006 als qualitative Vektor
summe der Komponenten SW und E (Abb. 2-13).
Auf jahreszeitlichen Zeitskalen belegen identische oder ähnliche Klassifizierungen
der aktuellen und klimatologischen MSLP-Felder insgesamt geringe Unterschiede
hinsichtlich des Verteilungsmusters. Die stärksten Richtungsabweichungen ergeben
sich für das Winterquartal 2006 (S vs. SW) und das Frühjahr 2007 (ANW vs. AW). Die
meist schwach ausgeprägten Anomalieverteilungen zeigen darüber hinaus an, dass
auch hinsichtlich der Intensität der Verteilungen kaum nennenswerte Unterschiede
bestehen. Insofern entsprechen die Druckverteilungen - außer im Winter und Herbst
2006 - auf der saisonalen Zeitskala »normalen« Verhältnissen.
Schon aufgrund der Ergebnisse der Wetterlagenstatistik (Kap. 2.3.4, 5.50) ist klar,
dass diese Normalität kaum Ausdruck intrasaisonal durchgängig normaler Bedingun
gen ist, sondern vielmehr aus der Kompensation teils erheblicher, entgegengesetzter
Anomalien auf kürzeren, monatlichen Zeitskalen resultiert, die u. a. mit entsprechen
den regionalen Temperaturanomalien einhergehen. Wie bereits in der Vorrede kurz
angesprochen, sind diese Verteilungen unkorreliert (s. a. van den Dool und Livezey
1984) und daher buchstäblich nicht ohne Weiteres auseinander (z. B. von Monat zu
Monat) erklärbar - geschweige denn vorhersagbar (z. B. Lorenz 1993). Deshalb sind
die nachstehenden Beschreibungen von dokumentarischem Charakter und auf eine
Auswahl interessanterer Konstellationen fokussiert. Gelegentlich werden dazu Ergeb
nisse einbezogen, die in den monatlichen Climate Diagnostics Bulletins des CPC
veröffentlicht wurden (Bell 2006/2007).
Im Winter 2006 lag insgesamt eine N-wärts gerichtete Meridionalzirkulation vor,
die sich gegenüber der Klimatologie in starken E-lichen Anomaliefeldern ausdrückt
(Abb. 2-13, 5.77). Letzteren ist zu entnehmen, dass sich im Februar und besonders
im März die Nordatlantische Oszillation - dazu passend - tatsächlich im negativen
Mode befunden hat, denn dieser zeichnet sich durch anomal hohen/tiefen Druck bei
Island bzw. den Azoren aus. Im Januar traf dies trotz S-licher Anströmung nicht zu.
Stattdessen herrschte extrem hoher Druck über Skandinavien, der sich nach Westen
bis über die Britischen Inseln hinaus erstreckte, die Tiefdruckstörungen weit nach
Norden und Nordafrika ablenkte und so das Eindringen maritimer Luftmasssen in den
Nordseeraum blockierte.