Sensitivität von Meeresküsten
55
Konsequenzen einer Ölverschmutzung für Pflanzen und Tiere
Die wohl bekannteste durch Öl hervorgerufene Schädigung von Lebewesen Ist die Verschmutzung des
Gefieders von Wasservögeln. Die Verunreinigung führt dazu, dass dessen lebenswichtige Funktionen, Was
serabweisung und Wärmeisolierung, nicht mehr gewährleistet sind. Wenn größere Teile des Gefieders ver
schmutzt sind, kühlt der Vogel aus und stirbt. Ähnlich kann sich die Verölung des Fells von Meeressäugern
auswirken. Verklebtes Fell isoliert nicht gegen kalte Luft und kaltes Wasser. Die Tiere werden geschwächt
und können ebenfalls sterben.
Bei Pflanzen führt eine Verölung der Triebe dazu, dass der Gastransport von den Blättern zu den Wurzeln
unterbrochen wird, sodass die Pflanze eingeht. Wasserfiltrierer wie Muscheln, aber auch Organismen wie
Schnecken und Würmer, die ihre Nahrung vom Boden aufsammeln, nehmen Öl häufig mit der Nahrung
auf. Die giftigen Kohlenwasserstoffe können sogar in den Nahrungsketten weitertransportiert werden, etwa
durch Tiere, die ölverschmutzte Muscheln fressen. Vögel und Säugetiere verschlucken häufig Öl, wenn sie
versuchen, ihr verunreinigtes Gefieder oder Fell zu reinigen. Weichhäutige Tiere wie zum Beispiel Fische
und viele Wirbellose nehmen Erdölkohlenwasserstoffe hingegen hauptsächlich über die Haut und insbeson
dere die stark durchspülten Kiemen auf.
Die Erdölkohlenwasserstoffe können auf verschiedene Organismen ganz unterschiedlich wirken. Bei vielen
Tieren werden vor allem das Wachstum und der Stoffwechsel beeinträchtigt. Studien zeigten, dass Hum
mer und Wattwürmer mit verminderter Nahrungsaufnahme reagierten. Miesmuscheln und Fische wiederum
wuchsen unter dem Einfluss von Ölverschmutzungen schlechter. Immer wieder beobachtet man Verhaltens
änderungen als Reaktion auf Verölungen. Robben zeigten ein ausgesprochen lethargisches Verhalten, was
auf Nervenschädigungen durch das Einatmen flüchtiger Erdölkohlenwasserstoffe unmittelbar nach einem
Ölunfall zurückgeführt wurde.
Auch die Fortpflanzung zahlreicher Meeresorganismen wird in Mitleidenschaft gezogen. So kann eine
Vergiftung durch Öl zu genetischen Schäden führen: Bei Lachsen erhöhte sich nach einem Ölunfall die
Sterblichkeit der Eier. Bei Heringen wiederum waren zahlreiche frisch geschlüpfte Nachkommen missge
bildet. Auch für Mangrovenbäume konnte man nachweisen, dass sich mit der Konzentration bestimmter
Kohlenwasserstoffe im Sediment die Zahl genetischer Mutationen erhöht. Häufig schädigen die toxischen
Ölinhaltsstoffe auch die Reproduktionsorgane der Meeresorganismen. So erhöhte sich die Zahl steriler
Muscheln im Jahr nach einem Ölunfall deutlich. Für Korallen konnte gezeigt werden, dass in chronisch
ölverschmutzten Gebieten die Zahl der Nachkommen abnimmt.
Hinzu kommt bei vielen Meerestieren ein Orientierungsverlust, denn viele Organismen finden sich in ihrer
Umwelt zurecht, indem sie feinste Konzentrationen bestimmter Substanzen wahrnehmen. Auf diese Weise
sind sie in der Lage, Beute, Feinde oder Sexualpartner zu lokalisieren. Bei diesen natürlichen Substanzen
handelt es sich um biogene Kohlenwasserstoffe, deren molekularer Aufbau manchen Kohlenwasserstoffen
aus Rohöl ähnelt. Gelangen durch einen Ölunfall große Mengen der fremden Kohlenwasserstoffe ins Was
ser, sind die natürlichen Stoffe kaum mehr wahrnehmbar. Das erschwert die Suche nach einem Sexualpart
ner oder nach Nahrung erheblich.