Scherhag, R.: Die Entstehung der Vb-Depressionen,
73
Die Darstellung der absoluten Topographie der 500 mbar-Fläche (Abb. 12),
die auf Grund der graphischen Addition der relativen Topographie zur Boden-
wetterkarte unter Zugrundelegung der besonders zahlreich vorliegenden Wolken-
beobachtungen gezeichnet wurde‘), zeigt, daß das über der westlichen Nordsee
liegende Tief vollständig okkludiert ist und daher eine sehr große Höhen-
erstreckung und eine geschlossene Zirkulation aufweist.
Bis zum nächsten Morgen (Abb. 10) ist die Kaltluft besonders über Südwest-
deutschland weiter vorgestoßen, während in Mittel- (Berlin), Nord- (Hamburg)
und Ostdeutschland (Königsberg) erhebliche Temperaturzunahme erfolgt ist. Der
Tiefdruckkern hat sich im Niveau der 500 mbar-Fläche etwa nach Belgien verlagert.
Leider liegen von diesem Sonntag nur wenige Höhenaufstiege vor, doch
lassen die vorhandenen wenigstens erkennen, daß der Temperaturgegensatz über
Süddeutschland in der freien Atmosphäre wesentlich stärker war als weiter im
Norden: Unterschied der relativen Topographie (Abb. 10) zwischen Hamburg
und Königsberg nur 6 Dekameter, zwischen Darmstadt und Berlin bereits
14 Dekameter. Bedenkt man, daß sich diese Zone starken Gegensatzes mit dem
beginnenden keilförmigen Vorstoß der Kaltluft längs der Alpen, wo schon am
Vormittag Zugspitzhöhe erreicht wird (Beobachtungen auf der Zugspitze um
8 Uhr SSE 3, — 9°, um 14 Uhr NNW 5, — 14°) gerade zur deutsch-österreichischen
Grenze verlagern, während zugleich noch die Advektion der Heißluft afrikanischen
Ursprungs eine weitere Erwärmung über Ungarn herbeiführen muß, so wird es
klar, ein welches Ausmaß der Temperatur- und Druckgegensatz in der freien
Atmosphäre am Abend dieses Tages auf der Südseite des Oder-Tiefs erreicht,
Infolge der weit vorgeschrittenen Jahreszeit ist die Kaltluft wesentlich
tiefer temperiert als bei den hochsommerlichen Vb-Depressionen, während
die intensive Warmluftadvektion deren Wärmeeinhalt nicht viel unter den
sommerlichen Wert sinken lassen kann. Eine mittlere Temperaturdifferenz von
15° — entsprechend einem Unterschied in der relativen Topographie 500 über
1000 mbar von 30 Dekametern — am Abend zwischen Süddeutschland und
Ungarn ist sicher nicht zu hoch gegriffen,
Am 30. Oktober erstreckt sich das entstandene Sturmtief (Abb. 14) bereits
durch die ganze Troposphäre, soweit es die Methode der graphischen Addition
zu übersehen gestattet. Über Deutschland sind die Temperaturen jetzt weit-
gehend ausgeglichen, und die Frontalzone ist hier restlos zerstört worden, ihre
kinetische Energie tritt jetzt in der gebildeten Sturmzyklone in
Erscheinung.
Ich hoffe, trotz des Mangels an aerologischen Meldungen den Beweis dafür
erbracht zu haben, daß eine selten gut ausgeprägte Temperatur- und
Strömungsdivergenz die Ausbildung dieses Ostsee-Orkantiefs der
Zugstraße VYb herbeigeführt hat. Wenn der Stettiner Wetterbericht vom
80. Oktober schreibt, daß ‚,das Tiefdrucksystem, das am Sonntag über Mittel-
europa zu erkennen war, sich so sehr vertieft hat, daß angenommen werden muß,
g8 seien Vorgänge in der Stratosphäre mitbeteiligt, da die Zufuhr warmer Mittel-
meerluft doch wohl nicht allein zu so starker Vertiefung Anlaß geben konnte‘,
so demonstriert er auf das treffendste den Fehlschluß, daß man bei der Er-
klärung der Druckgebilde mit der Heranziehung troposphärischer Advektions-
vorgänge auskommen zu können glaubte. Es zeigt sich aber auch, daß man
trotzdem nicht nötig hat, die Erklärung ähnlicher Sturmdepressionen auf un-
bestimmte Zeit — vielleicht bis zur allgemeinen Einführung der Radio-Sonde —
zu verschieben, sondern daß die dynamischen Gesichtspunkte sehr wohl
zu einer Lösung des Problems in der Lage sind.
8. Schlußwort.
Mit diesem Beispiel wollen wir die Untersuchungen der Vb-Depressionen
vorläufig abschließen. Es ist jetzt möglich, die dargelegte Divergenztheorie der
Vb-Zyklonen an Hand der im „Täglichen Wetterbericht“ der Deutschen See-
1) Die nerologischen Beobachtungon wurden den Wetterberichten der einzelnen Länder und
für Deutschland den „Aerologischen Berichten“ entnommen,