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Full text: 10, 1882

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hatte, dafs der vermuthete Rauch kolossal verbreitert mit rasender Geschwindig 
keit auf uns loskam. Kaum gewann ich Zeit, das Fernrohr in die Glaskuppel 
zu stellen und wieder hinaus zu eileD, als ich, höchstens 3—4 Minuten nach 
dem ersten Bemerken der Wolke, eine noch nie gesehene mächtige braunrothe 
Staubmasse auf mich losstürzen sah; Sudenburg und Stadtfeld, Vorstädte Magde 
burgs, waren jetzt schon total unsichtbar. 2 h 10'" uud vielleicht einige Se 
kunden traf der erste gewaltige Windstofs die Wetterwarte, welcher mich auf 
der Gallerie fast gegen das Gitter schleuderte; der Thurm erbebte unterdessen 
Wucht und bog sich förmlich ab, ich glaube, dafs er 3Zoll aus der Vertikalen 
bewegt worden ist; ein ea 10 Fufs langes, 7 Pfund schweres Pendel machte 
Ausschläge von 3 Zoll nach jeder Seite des Ruhepunktes. Die Windstärke war 
im ersten Stofse wenigstens 11 zu neunen, ln einigen Sekunden war die ganze 
Umgebung verschwunden; im Hause, in der Nachbarschaft klirrten Fenster 
scheiben und Dachziegel; Holzjalousicn eines Nachbarhauses wurden hoch empor 
geschleudert; Bäume wurden umgeworfen und viele Menschen beschädigt. Die 
Böe währte mit wenig veränderter Stärke (10) ea 5 Minuten, ging dann mit im 
Zenith aufklarendem Himmel für 2 Minuten auf Stärke 7 herab, um dann noch 
einmal mit Stärke 10 stofsweise bis 2 h 32 ro zu weben. Es war auf der Gallerie 
nur mit grofser Anstrengung möglich, festen Fufs zu fassen; kleine Steine von 
über Erbsengröfse flogen uns ins Gesicht. Nach 3 Uhr erfolgte noch einmal 
starke Zunahme der Windstärke bis Stärke 9—10. Elektrische Entladungen 
kamen während der Böe nicht vor; nach der Böe blieb das Wetter trübe und 
kühlte schnell erheblich ab (2 h p. m. 24,3°, 8 h p. m. 17,9°); von 2 h 18™ au fiel 
Regen in grofsen Tropfen, jedoch wenig, während der Böe selbst kein Tropfen; 
vorher war um l h 30“ etwas Regen gefallen. 
Nach Ausweis des Barogramms fiel der Ausbruch der Böe mit einer 
phänomenalen Zunahme des Luftdruckes zusammen, denn das Barometer stieg 
in 20 Minuten um 1,8mm. Die einzelnen Phasen der Böe spiegeln sich vor 
trefflich in dem Barogramm wieder: der erste Nachlafs nach 5 Minuten mit 
kurzem Intervall, der zweite längere Nachlafs von 2 11 32“ an, die erneuto Zu 
nahme nach 3 Uhr; leider sind über die feineren Verhältnisse des Phänomens 
zur Zeit der um 3 h 20'“ wiederum stark fallenden Barograinm-Kurve keine Beob 
achtungen gemacht worden. 
Bei der hohen Lago unserer Wetterwarte läfst sich ziemlich annähernd 
der Ort der ersten Sichtbarkeit jener erwähnten mächtigen Staubwolke be 
stimmen; er lag sicherlich hinter dem Kirchthurm des Dorfes Klein-Rodensleben, 
dessen Entfernung ca 9—10 km beträgt; 4 Minuten als zwischenliegende Zeit 
angonommeu würde eine Geschwindigkeit von etwa 36m pro Sekunde ergeben.“ 
Südlich von Magdeburg fehlen uns ähnlich genaue Beschreibungen des 
Auftretens der Böe; es scheint dieselbe dort auch weniger ausgeprägt gewesen 
zu sein und sich aus den übrigen Gewittern, welche diese Gegenden am gleichen 
Tage durchzogen, nicht sehr hervorgehoben zu haben. 
Die obigen Schilderungen und eine Reihe ähnlicher aus Orten, wo die 
Böe etwas früher oder später auftrat, zeigen aber, wie auf der weiten Strecke 
zwischen Lübeck und Magdeburg dieser Gewittersturm gleichzeitig in sehr ähn 
licher Weise auftrat: als orkanmäfsiger Windstofs aus südwestlicher Richtung 
von kaum 10 Minuten Dauer, der durch das Heraufziehen, bei schwachem oder 
mäfsigem südlichem Winde, einer sehr schweren Wolke mit tief niederhängendem 
rothgelbem vorderem Rande und das Heransausen einer dichten Staubwolke 
unter derselben eingeleitet wurde. Niederschlag, zum Theil sehr starker, in 
der Form von Regen oder Hagel trat an einigen Orten gleich hinter dor ersten 
Staubwolke, während des Orkans auf, an anderen erst nachdem sich dieser 
gelegt hatte. 
4. Chronologie, Verlauf und räumliche Verhältnisse des Gewittersturmes 
vom 9. August 1881. 
a) Material und Untersuchungsmethode. Ueber die Gewitter und 
Wiudstöfse vom 9. August liegen mir mehr oder minder genaue Zeitangaben 
von etwa 400 Punkten aus Centraleuropa vor, und zwar für die grofse Gewitter 
böe und deren südliches Anhängsel allein solche von weit über 200 Punkten,
	        
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