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Wolfgang Schubert : Zur deutschen Kolonialfrage.
vermag. Um diesem vom Ausland abhängigen Bevölkerungsteil Arbeit und Brot geben zu
können, mußten die Industriestaaten Europas in der Zeit von. 1800 bis 1928 — trotz einer
Massenauswanderung von insgesamt 40 Millionen Menschen nach Ubersee — an Volks vermögen
mehr als die Hälfte nach überseeischen Ländern exportieren. Hinzu kommt eine nicht wert
mäßig zu erfassende Abgabe von europäischen Erfahrungen und Kenntnissen. Dieser Riesen
export ist die Gegenleistung für den Ankauf von Nahrungsmitteln, die in Europa nicht mehr
in ausreichender Menge erzeugt werden können.
Dabei sind die Menschen in Europa gezwungen, ihre Arbeitsleistungen ständig zu stei
gern, um genügend Geld zu erwerben für den Bezug der fehlenden Nahrungsmittel vom
Ausland. Früher konnte man zwar viele tropische Rohstoffe für Glasperlen, bunte Tücher
und ähnlichen Tand erstehen; heute muß man hochwertige Industrieerzeugnisse, Werkzeug
maschinen und Fabrikanlagen als Zahlungsmittel ans Ausland geben.
Man ahnte in früheren Zeiten nicht, daß der Industrie-Warenexport, sobald er erzwungen
ist und sobald man gleichzeitig auf einen Menschenexport in eigenen Kolonialraum verzich
tete, zu einer Verarmung der übervölkerten Industriestaaten führen mußte. Die Riesenver
mögen in Nordamerika haben sich ja nur deswegen bilden können, weil Europa in wirt
schaftliche Abhängigkeit von Amerika geraten war.
Europas ungünstige Lage im internationalen Wettbewerb wird zudem durch einen beson
deren Umstand verschärft. Durch den Export seiner geistigen und technischen Errungen
schaften nach Ubersee sieht es sich heute einer Reihe von industrialisierten Ländern gegen
über, die über rohstoffrei die Gebiete in den Tropen und Subtropen verfügen. In den warmen
Ländern sind — im Gegensatz zu den gemäßigten Zonen mit kalten Wintern — die Gestehungs
kosten für Fertigwaren niedrig, weil infolge des Fehlens eines kalten Winters Kleidung und
Wohnung für die arbeitende Bevölkerung einen unvergleichlich geringeren Aufwand erfor
dern und weil infolge eines dauernden Pflanzenwachstums — meist während des ganzen
Jahres — die landwirtschaftliche Erzeugung eia mehrfaches beträgt. Werden doch hier 2-4-
fache Nahrungsmittelmengen oder sogar bis 15fache Fettmengen auf gleicher Fläche erzeugt.
Europa steht somit vor einer Wende, weil mit dem siegreichen Einzug der
Technik in die Tropen und Subtropen eine Verlagerung des wirtschaftlichen
Schwergewichtes aus der gemäßigten Zone nach den warmen Ländern
der Erde verbunden ist.
Gerade weil die warmen Zonen der Erde durch ihre größeren Agrarerträge eine dichtere
(etwa 3—lOfache) Siedlungsweise als die gemäßigten Zonen zulassen, und weil zugleich die
tropischen Rohstoffe mehr und mehr in jenen warmen Ländern für den eigenen Bedarf der
Bevölkerung gebraucht werden, sieht sich Europa schon heute einer durchaus ernst zu neh
menden, dauernd wachsenden Verknappung der tropischen Rohstoffe gegenüber. Zudem wird
es gleichzeitig gezwungen, die einzuführenden Rohstoffe durch ständig größer werdende Ar
beitsleistungen zu bezahlen. Der seit 1928 allgemein zurückgehende Rohstoff- und Lebens
mittelimport nach Europa wurde nicht allein durch eine steigende Verschuldung an das Aus
land bzw. durch die Kapitalarmut verursacht, sondern auch durch einen rasch ansteigenden
Bedarf an tropischen Rohstoffen anderer nichteuropäischer Staaten und Völker. Der Kampf
um die Produkte und Rohstoffe der Tropen und Subtropen hat heute einen Höhepunkt erreicht
wie nie zuvor.
Die Rohstoff- und Nahrungsmitteleinfuhr aus Ubersee nach Europa betrug in den Jahren
1925 bis 1937 in Milliarden RM:
Jahr 1925 1929 1932 1955 1937
Europa 36.2 35.7 14.7 12.8 18.1
Nur ein Teil dieses Rückganges ist durch das mit der Krise von 1929 eingetretene Sinken der
Preise verursacht worden.