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Full text: 62/63, 1942/43

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Wolfgang Schubert : Zur deutschen Kolonialfrage. 
vermag. Um diesem vom Ausland abhängigen Bevölkerungsteil Arbeit und Brot geben zu 
können, mußten die Industriestaaten Europas in der Zeit von. 1800 bis 1928 — trotz einer 
Massenauswanderung von insgesamt 40 Millionen Menschen nach Ubersee — an Volks vermögen 
mehr als die Hälfte nach überseeischen Ländern exportieren. Hinzu kommt eine nicht wert 
mäßig zu erfassende Abgabe von europäischen Erfahrungen und Kenntnissen. Dieser Riesen 
export ist die Gegenleistung für den Ankauf von Nahrungsmitteln, die in Europa nicht mehr 
in ausreichender Menge erzeugt werden können. 
Dabei sind die Menschen in Europa gezwungen, ihre Arbeitsleistungen ständig zu stei 
gern, um genügend Geld zu erwerben für den Bezug der fehlenden Nahrungsmittel vom 
Ausland. Früher konnte man zwar viele tropische Rohstoffe für Glasperlen, bunte Tücher 
und ähnlichen Tand erstehen; heute muß man hochwertige Industrieerzeugnisse, Werkzeug 
maschinen und Fabrikanlagen als Zahlungsmittel ans Ausland geben. 
Man ahnte in früheren Zeiten nicht, daß der Industrie-Warenexport, sobald er erzwungen 
ist und sobald man gleichzeitig auf einen Menschenexport in eigenen Kolonialraum verzich 
tete, zu einer Verarmung der übervölkerten Industriestaaten führen mußte. Die Riesenver 
mögen in Nordamerika haben sich ja nur deswegen bilden können, weil Europa in wirt 
schaftliche Abhängigkeit von Amerika geraten war. 
Europas ungünstige Lage im internationalen Wettbewerb wird zudem durch einen beson 
deren Umstand verschärft. Durch den Export seiner geistigen und technischen Errungen 
schaften nach Ubersee sieht es sich heute einer Reihe von industrialisierten Ländern gegen 
über, die über rohstoffrei die Gebiete in den Tropen und Subtropen verfügen. In den warmen 
Ländern sind — im Gegensatz zu den gemäßigten Zonen mit kalten Wintern — die Gestehungs 
kosten für Fertigwaren niedrig, weil infolge des Fehlens eines kalten Winters Kleidung und 
Wohnung für die arbeitende Bevölkerung einen unvergleichlich geringeren Aufwand erfor 
dern und weil infolge eines dauernden Pflanzenwachstums — meist während des ganzen 
Jahres — die landwirtschaftliche Erzeugung eia mehrfaches beträgt. Werden doch hier 2-4- 
fache Nahrungsmittelmengen oder sogar bis 15fache Fettmengen auf gleicher Fläche erzeugt. 
Europa steht somit vor einer Wende, weil mit dem siegreichen Einzug der 
Technik in die Tropen und Subtropen eine Verlagerung des wirtschaftlichen 
Schwergewichtes aus der gemäßigten Zone nach den warmen Ländern 
der Erde verbunden ist. 
Gerade weil die warmen Zonen der Erde durch ihre größeren Agrarerträge eine dichtere 
(etwa 3—lOfache) Siedlungsweise als die gemäßigten Zonen zulassen, und weil zugleich die 
tropischen Rohstoffe mehr und mehr in jenen warmen Ländern für den eigenen Bedarf der 
Bevölkerung gebraucht werden, sieht sich Europa schon heute einer durchaus ernst zu neh 
menden, dauernd wachsenden Verknappung der tropischen Rohstoffe gegenüber. Zudem wird 
es gleichzeitig gezwungen, die einzuführenden Rohstoffe durch ständig größer werdende Ar 
beitsleistungen zu bezahlen. Der seit 1928 allgemein zurückgehende Rohstoff- und Lebens 
mittelimport nach Europa wurde nicht allein durch eine steigende Verschuldung an das Aus 
land bzw. durch die Kapitalarmut verursacht, sondern auch durch einen rasch ansteigenden 
Bedarf an tropischen Rohstoffen anderer nichteuropäischer Staaten und Völker. Der Kampf 
um die Produkte und Rohstoffe der Tropen und Subtropen hat heute einen Höhepunkt erreicht 
wie nie zuvor. 
Die Rohstoff- und Nahrungsmitteleinfuhr aus Ubersee nach Europa betrug in den Jahren 
1925 bis 1937 in Milliarden RM: 
Jahr 1925 1929 1932 1955 1937 
Europa 36.2 35.7 14.7 12.8 18.1 
Nur ein Teil dieses Rückganges ist durch das mit der Krise von 1929 eingetretene Sinken der 
Preise verursacht worden.
	        
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