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Wolfgang Schubert : Zur deutschen Kolonial frage.
So zeigte z. B. der Saarkampf, daß neben der Wehvhoheit und Nahrungsfreiheit die Seß-
haftmachung des deutscben Arbeiters für das weitere Schicksal unseres Landes von hervor
ragender Bedeutung ist. Der Großindustrielle Hermann Röchling aus Völklingen im
Saargebiet führte in einem Vortrage 1935 folgendes aus: „Auf wirtschaftlichem und sozialem Ge
biete ist es von außerordentlicher Wichtigkeit gewesen, daß unsere (saarländische) industrielle Arbeiter
schaft im Gegensatz zu derjenigen der meisten Industriegebiete Deutschlands und Europas in stärkstem
Maße durch Land- und Hausbesitz mit der heimischen Scholle verwachsen ist Die Lehre, die wir
m. E. aus diesem Saarkampf für unser deutsches Volk zu ziehen haben, ist, daß es keine größere Aufgabe
auf sozialem Gebiete gibt als die, dem Arbeiter in Deutschland zu eigenem Besitz an Land und
Haus — mit ausreichendem Stall zur Kleintierhaltung — also zur Heimstätte — zu verhelfen. Es ist nicht
überspitzt, wenn ich behaupte, daß die Unterbringung der Mehrheit der industriellen Arbeiterschaft in
Mietswohnungen eine ungeheure Gefahr für den Bestand des Staates dar stellt.“
Wir wissen, daß Deutschland durch den Druck einer steigenden Bevölkerung und infolge
mangelnden geeigneten Siedlungslandes ein Industriestaat geworden ist. Das Verhältnis der
landwirtschaftlichen Bevölkerung zu der Gesamtbevölkerung beträgt heute etwa 1 :414—5.
Noch in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts war das Verhältnis 1 :2Vfe. Dabei ist die
landwirtschaftliche Bevölkerung nur unwesentlich zurückgegangen. Dagegen ist die der In
dustrie und des Handwerks seit 1882 um 96 v. H. und die des Handels und Verkehrs um
170 v. H. gestiegen. Und dies innerhalb von 40 Jahren.
Berufszählungen gegliedert nach Wirtschaftsabteilungen:
Jahr
Land-
und Forstwirtschaft
Industrie
und Handwerk
Handel
und Verkehr
Gesamtbevölke
rung in Millionen
1882
16.0 Millionen
14.8 Millionen
3.8 Millionen
40.2
1925
14.4
26.6
10.6
63.2
1935
13.7
25.8
11.2
66.0
Berechnet auf den Gebietsstand vom 1. Januar 1954.
Nach der liberalistisch-marxistisehen Auffassung sollte sich die Weltwirtschaft auf der
Grundlage einer internationalen Arbeitsteilung entwickeln. Man sprach von Agrarländern und
Rohstoffländern einerseits und von Industrieländern andererseits. Man dachte international
und nicht völkisch-politisch und glaubte, daß nur einige wenige Länder dazu ausersehen seien,
die Welt mit Industrieerzeugnissen zu beliefern. Audi wollte man nichts von einer Kolonial
politik wissen, denn die Ersddießung von Neuländern zwedcs Siedlung war schwierig und
mühsamer als die Ausnützung der Arbeiter für einen großen Weltmarkt.
Indessen ist die Entwicklung eine andere gewesen. Durch den ersten Weltkrieg und durch
das Fehlen einer durchorganisierten Weltwirtschaft gezwungen, erstrebten fast alle Staaten
eine möglichst autarke Nationalwirtschaft, wobei das völkisch-politische und rassische Moment
in den Vordergrund trat. Durch diese strukturelle Umwandlung der Weltwirtsdiaft — man
kann von einer soldien kaum noch reden — gerieten die übervölkerten, nicht autarken Staa
ten, bei denen also der machtpolitische Raum kleiner ist als der für die Nation erforderliche
wirtschaftseigene Nahrungsraum, in arge Bedrängnis. Zu diesen Ländern sind besonders
Deutschland. Japan und Italien zu rechnen.
Soldien übervölkerten Ländern bleibt nur die Wahl, entweder einen Teil ihrer Bevöl
kerung absterben zu lassen und sich künftighin auf den engen Lebensraum zu beschränken,
das würde aber den unvermeidlichen Tod der Nation bedeuten — oder aber nach einer Er
weiterung des Lebensraumes zu trachten, d. h. aber Raumpolitik = Kolonialpolitik zu treiben.
Solange es noch erschließungsbedürftige und besiedlungsfähige leere Räume auf Erden
gibt, und solange diese noch einer gerechten Verteilung unter die zurZeit auf Erden lebenden