Wolfgang Schubert:
Zur deutschen Kolonialfrage.
Der Krieg, der 1939 anfangs zwischen Deutschland und Polen ausbrach, hat heute in
seinen Strudel fast alle Völker der Erde gerissen. Es entstehen Kriegsschauplätze an den
mannigfaltigsten Punkten des Erdballs. An die Seite der Achsenmächte, Deutschlands und
Italiens, ist Japan getreten, das — ähnlich wie Deutschland — gezwungenermaßen die Fes
seln seines allzu engen Landes sprengt und sich in Ostasien einen Großraum für seine wach
sende, nach Entfaltung drängende Bevölkerung zu schaffen sucht.
Im ersten kühnen Ansturm hat sich Japan aus dem ostasiatischen und australischen
Raume die Plätze erobert, die ihm militärische Stützpunkte oder wirtschaftliche Versorgungs
basen sein werden. Damit hat es sein Kriegspotential vergrößert, gesichert und sich von
fremden Hilfsquellen unabhängig gemacht.
Diese japanische Expansion geht auf Kosten von Holland, England und Amerika. Daher
versuchen England und Amerika neue Wege, um aus der Bedrängnis herauszukommen. Mada
gaskar wird von den Engländern besetzt, um den Seeweg um das Kap der Guten Hoffnung
zu sichern, nachdem das Mittelmeer durch die Achsenmächte gesperrt ist. Amerika versucht
jetzt in Afrika Ersatz zu schaffen. Für die Vereinigten Staaten ist der Weg über Brasilien,
Westafrika, Ägypten der sicherste, um seine Bundesgenossen mit Kriegsmaterial zu versorgen.
Es baut mehrere große Straßen quer durch Afrika — so durdi Kamerun und den Belgischen
Kongo — und erschließt sich damit zugleich die Rohstoffgebiete Mittelafrikas, die landwirt
schaftlich und industriell gleich wertvoll sind. Damit legen die Vereinigten Staaten die wei
tere Blockade um Europa, um es von allen Rohstoffen der Tropengebiete abzuschneiden.
Schon die Tatsache, daß Afrika als militärische und wirtschaftliche Aufmarschbasis un
serer Feinde für uns eine Bedrohung ist, wird uns veranlassen, diesem Kontinent unsere er
höhte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Wir können es nicht dulden, daß die Vereinigten Staaten
sich in Afrika festsetzen und es für sich ausbeuten, da es der letzte Ergänzungsraum für
Europa für die wichtigsten tropischen Rohstoffe ist. Europa würde bei weiterem Wachsen
seiner Bevölkerung überdies nicht ausreichende Lebensmöglichkeiten besitzen.
Afrika erhält als Kolonial- und Ergänzungsraum für Europa große Bedeutung schon da
durch, daß Europa mit 47 Menschen auf den Quadratkilometer der am dichtesten besiedelte
Erdteil überhaupt ist. Es beherbergt über 14 der ganzen Menschheit, für die es Lebensmög
lichkeiten in ausreichendem Maße keineswegs zu bieten vermag. Diese Tatsache hat sicherlich
unseren großen Kolonialgründern Carl Peters, F. A. E. Lüderitz und Gustav Nachtigal vor
Augen gestanden, als sie in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts das deutsche Kolonial
reich in Afrika begründeten, in einer Zeit, als trotz des gewonnenen Krieges 1870/71 Tau
sende von Deutschen auswanderten, weil ihnen die Heimat zu eng geworden war. Ein großer
Teil der in der Heimat verbleibenden Bevölkerung mußte sich auf dem Umwege über den
Warenabsatz nach dem Auslande durch Einfuhr von Nahrungsmitteln und Rohstoffen aus
dem Auslande, also vom fremden Boden ernähren.
Im Jahre 1884 schrieb Carl Peters in einem Aufruf an das Deutsche Volk zur Grün
dung der „Gesellschaft für deutsche Kolonisation" u. a.: „Der deutsche Auswanderer, sobald er die
Grenzen des Reiches hinter sich gelassen hat, ist ein Fremdling auf ausländischem Grund und Boden
Der große Strom deutscher Auswanderung taucht seit Jahrhunderten in fremde Rassen ein, um in ihnen zu
verschwinden Alljährlich geht die Kraft von 200 000 Deutschen unserem Vaterland verloren. Diese
Kraftmasse strömt meistens unmittelbar in das Lager unserer wirtschaftlichen Konkurrenten ab und ver
mehrt die Stärke unserer Gegner.“
Was Carl Peters damals vorausgesehen hat, ist über alles Erwarten eingetreten. Fragen
wir uns heute, was überhaupt die überseeischen Feinde Deutschlands befähigt, gegen Europa