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Full text: 62/63, 1942/43

50 Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte usw. — 62. Band. Nr. 8c. Semmcltiadc-Reihe: Abhdlg. 5. 
eine starke Kriegsmacht in Bewegung zu setzen, so müssen wir sagen, es ist neben der Ab 
wanderung wertvollen deutschen Menschenmaterials nach Ubersee die Ausfuhr wirtschaft 
licher, technischer und vor allem geistiger Errungenschaften in Länder, die ohne diesen 
europäischen Lehrmeister nie zu einer derartigen Macht angewachsen wären. 
Heute stehen uns die Gefahren einer politisch völlig planlosen und ungelenkten Aus 
wanderung — in der Zeit von 1S20 bis 1937 wanderten etwa 38 Millionen Menschen von Eu 
ropa nach Übersee aus — in riesenhaftem Ausmaß vor Augen. Alles das. was an mangelnder 
nationaler Organisation und anderen Unterlassungssünden einer früheren Politik zur Last 
fällt, droht sich auf das bitterste an uns zu rächen. Die Frage des kolonialen Ergänzungs 
raumes für Deutschland und Europa ist daher vordringlich geworden und kann eines gründ 
lichen Studiums nicht entbehren. Es ist deshalb angebracht und zeitgemäß, sich mit dem kolo 
nialen Problem im allgemeinen wie auch mit Afrika im besonderen zu beschäftigen. 
Seit die Menschen seßhaft wurden und sich von den Erträgen des Bodens zu nähren be 
gannen, den sie selbst bebauten, gaben sie ihrem Eigentum Grenzen und schlossen sich zu 
Sippschaften, Stadtschaften und Staaten zusammen, um diese Grenzen zu verteidigen. Dadurch 
entstand für die einzelnen Völker ein begrenzter Lebensraum, der ursprünglich für eine 
gewisse Anzahl von Mensdien hinreichend war, bei zunehmender Bevölkerung und starkem 
Wachstum aber zu klein werden mußte. 
Die Aufrechterhaltung bestehender Grenzen ist jedoch nicht als etwas Unabänderliches 
hinzunehmen. Sobald nämlich trotz intensiver Bodennutzung die Bedarfsdeckung des Bevöl 
kerungszuwachses nicht mehr aus eigenem Boden möglich ist, wird die Erweiterung der 
Grenzen des lebensraumhungrigen Volkes zur Notwendigkeit. Dies führt zu Kriegen mit den 
Nachbarvölkern, wenn eine Verständigung auf einem anderen Wege nidit möglich ist. 
Wird auf eine Erweiterung des Lebensraumes verzichtet, so tritt im übervölkerten Lande 
folgendes ein: Wenn bei weiterer Bevölkerungszunahme die Grenze erreidit wird, bei der 
eine Ansiedlung des Bevölkerungszuwachses in der hergebrachten Weise als Bauer nicht mehr 
möglidi ist, so tritt an die Stelle weiterer Bodenteilung eine Arbeitsteilung ein. Der Land 
mann widmet sich mehr und mehr ausschließlich der Gewinnung von Nahrungsfrüchten, wäh 
rend der übrige Teil der Bevölkerung zu Handwerkern und Gewerbetreibenden wird und im 
Laufe der Zeit verstädtert. Der Stadtbewohner gerät in Abhängigkeit vom Bauern, ohne 
dessen Erzeugung von Nahrungsmitteln er verhungern müßte. Gleichzeitig erfährt der Boden 
des Besitzenden einen unverdienten Wertzuwachs lediglich dadurch, daß der Boden im Ver 
hältnis zur Bevölkerung knapper wird. Diese Werterhöhung gehört eigentlidi weder dem 
Bodenbesitzenden noch der Allgemeinheit, sondern ausschließlich dem landlos werdenden 
Bevölkerungszuwachs. Es ist dies eine nicht beabsichtigte Auswirkung des Grundeigentums, 
wenn nicht mehr jeder Volksgenosse ein Grundeigentümer werden kann. Es tritt somit ein 
Bruch in der sozialen Entwicklung eines Volkes ein. Der landlos bleibende Bevölkerungs 
zuwachs wird zugunsten der den Boden besitzenden Landbevölkerung enterbt. Mit dieser 
Enterbung tritt die soziale Scheidung in Besitzende und Besitzlose ein. 
Bei der mittelalterlichen deutschen Kolonisation besonders der ostelbischen Gebiete war 
man sich wohl dieser Folgen bewußt. Man legte daher besonderen Wert darauf, daß nicht 
nur der Bauer einen Acker erhielt, sondern daß jeder Handwerker und Gewerbetreibende 
vor den Toren der Stadt ein Stück Gartenland erhielt, auf dem er seinen Lebensunterhalt 
durch Anbau von Gemüse und Obst wenigstens zur Hälfte auf eigenem Boden erzeugen 
konnte. 
Dieser Grundsatz ging leider bei der Entstehung der Großstädte und bei der Entwick 
lung Deutschlands zum Industriestaat verloren. Nur in einigen Gebieten und auf Grund der 
Tätigkeit besonderer Persönlichkeiten liegen die Verhältnisse heutzutage noch etwas günstiger.
	        
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