Gerhard Neumann: Eigenschwingungen der Ostsee
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es sich bei den Wasserstandsschwankungen in der Beltsee nur um ein einfaches Voll- und Leerlaufen der
Becken westlich der Darsser Schwelle im Rhythmus der freien Schwingung des Ostseebeckens. Zu einer
Klärung dieser Fragen würden vielleicht Versuche an einem geeigneten Beckenmodell führen.
Die einknotige Eigenschwingung im System Ostsee — Bottnischer Meerbusen — Finnischer Meerbusen
wurde theoretisch durch Anwendung der D e f a n t sehen Restmethode auf einen verzweigten See bestimmt.
Die Periodenlänge der Schwingung ändert sich bei verschiedenen Abgrenzungen des Beckens in der Beltsee nur
unwesentlich.
Die nach der oben genannten Methode berechneten Perioden wurden außerdem nach einem theoretischen
Verfahren bestimmt, das FI i d a k a vor ein paar Jahren entwickelt hat und das bisher in Europa noch keine
Anwendung gefunden hat. Auch H i d a k a hat nach seiner Methode praktisch nur Seen mit verhältnismäßig
einfacher Beckenbeschaffenheit untersucht. Eine Anwendung dieser Theorie auf das kompliziert gestaltete
Ostseebecken und ein Vergleich der theoretisch berechneten Perioden mit den nach der D e f a n t sehen Rest
methode bestimmten schien wünschenswert. Es zeigte sich, daß die theoretischen Ergebnisse beider Methoden
gut übereinstimmen.
Als auffallend ergibt sich die starke Dämpfung der Eigenschwingungen des Ostseebeckens. Das log-
arithmische Dekrement konnte aus den Beobachtungen angenähert bestimmt werden (2 = 0,5). Ein Ver
gleich der theoretisch berechneten Periodenwerte mit den beobachteten ist nur 'möglich, wenn man den Einfluß
der Dämpfung auf die Schwingungsdauer berücksichtigt. Eine weitere Voraussetzung für die Anwendung der
Theorie ist, daß die Amplituden der Schwingung gegenüber der Tiefe des Beckens klein sind. Bei den großen
Amplituden der einknotigen Schwingung trifft diese Voraussetzung nicht ganz zu, und es war nötig, die
berechneten Schwingungsdauern zu reduzieren. Berücksichtigt man gleichzeitig die starke Dämpfung, dann
erhält man für die theoretischen Perioden im System Ostsee — Finnischer Meerbusen Ti = 27,5 + 0,7 und
T 2 = 17,6 + 0,6 Stunden. Für die Periode der einknotigen Schwingung im System Ostsee — Bottnischer
Meerbusen findet man Ti = 39,0 ± 0,4 Stunden. Die Übereinstimmung zwischen Theorie und Beobachtung
ist befriedigend.
Der Einfluß der Erdrotation auf die Schwingungsbewegung im Ostseebassin wurde abgeschätzt. Durch
die ablenkende Kraft der Erdrotation kommt es zur Ausbildung von Querschwingungen, deren Amplitude
von der Breite des Beckens und der Strömungsgeschwindigkeit in der Längsrichtung abhängt. Die Überlagerung
der Längs- und Querschwingungen führt zu Drehwellen (Amphidromien) und der Charakter der linearen
stehenden Welle geht verloren. Es zeigte sich aber, daß in der Ostsee der Einfluß der ablenkenden Kraft
der Erdrotation wegen der geringen Breite des Beckens und der kleinen Strömungsgeschwindigkeit in der
Längsrichtung nicht voll zur Geltung kommt. Die Schwingungsbewegung im Ostseebecken gleicht äußerlich
noch ganz der einer linearen stehenden Welle. Der Einfluß der ablenkenden Kraft macht sich nur in einer
kleinen Phasenverschiebung der Schwingungskurven einzelner Stationen gegeneinander bemerkbar. Die von
der Theorie geforderte Phasenverschiebung läßt sich am Beobachtungsmaterial eindeutig nachweisen.