Skip to main content

Full text: 60, 1940

161 
Joachim Blüthgen: Geographie der winterlichen Kaltlufteinbrüche in Europa. 
tretens in den einzelnen Teilen Mitteleuropas verschieden. Wir wollen diese Frage im folgenden 
Absatz etwas näher untersuchen. 
In erster Linie spielen hierbei der KE-Typ sowie das Verhältnis der KE zu den jeweils zu 
erwartenden langjährigen Mittelwerten (einschließlich der mittleren Extreme) eine grolle Rolle. 
Die im Frühjahr über Nord- bzw. Nordwesteuropa hereinbrechenden Nsk- bzw. NW-KE bringen 
für die mitteleuropäische Vegetation größere Gefahren mit sich als andere KE-Typen und als 
zu winterlicher Zeit auftretende. Aus den Arbeiten von K. Bender (zuletzt 1939) entnehmen 
wir z. B. die Schädigung der in Bodennähe spürbaren verbreiteten, im einzelnen von der 
Lokalität abhängigen Spätfröste im Unterelbegebiet, die die Obstkulturen der Vierlande be 
trächtlich in Mitleidenschaft ziehen, die aber gegebenenfalls durch rechtzeitige Vorhersage und 
Schutzmaßnahmen (Rauchentwicklung!) gemindert werden können. An die Schädigung der be 
reits in vollster Entwicklung befindlichen Obstkulturen der klimatisch durchschnittlich begün 
stigten Obstbaugebiete im Südwesten des Reiches durch Schneefälle und Nachtfröste im Gefolge 
von solchen singulären KE sei nur erinnert. 
Wir können uns bei der Kennzeichnung dieser Frostschäden in Südwestdeutschland bereits auf D o v e (1837, 
S. 274—275) berufen: „Wenn bei -verrückender Jahreszeit die wärmeerregende Kraft der Sonne steigt, so wird in der 
Gegend, welche den milden Winter hatte, der Frühling bereits erwachen, während da, wo die strenge Kälte herrsdite, 
die Temperatur sich nicht viel über Null erheben wird, weil alle erregte Wärme in dem Sdimelzen der vorhandenen 
Eismassen gebunden wird. Dem Druck der kalten Luft dieser Gegend (also der Polargegenden! D. Verf.) wird (weil 
so einseitig vorwaltende Luftströme vorzugsweise nur im Winter herrschen) die erwärmte, daneben befindlidie aus 
gedehnte Luft nicht lange Widerstand leisten können. Ihr Eindringen wird desto plötzlicher sein, je unvorsichtiger 
die Wärme sidi hier gesteigert hatte. Daher wird der Frühling unangenehm sein durch häufige Abwedrsfungen 
warmer und höchst rauher Witterung. Die kalten Ostern des Jahres 1855 sind gewiß noch jedem im Gedächtnis. 
Didite Sdineesdiauer gaben am Karfreitage den PJieinuf'ern von Mainz bis Bonn ein winterliches Aussehen, obgleidi 
Pfirsich- und Kirsdibäume in voller Blüte standen, fn Berlin stürmte es aus SW, aber ohne Schnee. Überhaupt war 
in dieser Zeit die Witterung am Rhein viel ungestümer als in Berlin. Noch ärger war es aber in England, wo diese 
Kälte sdion Mittwoch abend eintrat. Nach schönem Frühlingswetter folgte dort plötzlich eine empfindliche Kälte. Es 
schneite wie im Dezember; an freien Plätzen fror es sogar bei Tage, daher großer Schaden an Büthen. Die Wagen, 
welche am Charfreitage aus dem Norden nach London ankamen, waren ganz mit Schnee bedeckt. Ebenso wurde in 
Italien und Frankreich ungewöhnliche Kälte bemerkt. Diese Kälte war also in westlichen Gegenden stärker als in 
östlichen, sie kam auch aus Westen." Diese Schilderung bezieht sich also allem Anschein nach auf einen NW-KE be 
sonders heftiger Art. 
Der Unterschied zwischen dem die Vegetation bereits stark fördernden mittleren klima 
tischen Einfluß in W-Deutschland und solchen singulären Ereignissen ist besonders groß. In 
Ostdeutschland ist diese Gefährdung der Vegetation nicht in solchem Maße vorhanden, 
denn hier ist die Erwärmung zuvor, wie wir bereits erwähnten, noch nicht so allgemein fort 
geschritten, die Vegetation daher noch in einem weniger fortgeschrittenen Entwicklungsstadium. 
Trotzdem sind auch in Ostdeutschland Spätfröste nachteilig, wie z. B. Kunze (1936) dargelegt 
hat. Der Unterschied in der Wahrscheinlichkeit von Kaltlufteinbrüchen ist, im großen gesehen, 
innerhalb ganz Deutschlands im April—Mai gering (wenn wir hier NW- und Nsk-KE einmal 
gleichsetzen). Eine geAvisse Verspätung der Frühjahrsfröste ist allerdings z. B. in Ost- gegen 
über Westpommern festzustellen (Knoch, 1927 [a], S. 8), welche am zwanglosesten durch eine 
größere Häufigkeit des Eintreffens nordeuropäischer polarmaritimer Kaltluft im Osten gegen 
über dem Westen zu erklären ist. Unterschiedlicher dagegen ist die Zahl der zuvor aufgetre 
tenen Tagesmittel über +5° (bzw. Tageshöchstwerte von +10°), mit denen im allgemeinen die 
Vegetationszeit einsetzt. Diese liegt im Rheingebiet eben wesentlich höher als im Osten. Ebenso 
ist ja auch zu verstehen, worauf ebenfalls Kunze hingewiesen hat, daß clie bei einem ge 
gebenen KE im Gebirge auftretenden Minima trotz ihrer gegenüber der Ebene größeren Strenge 
auf clie Vegetation dort von geringem Belang sind, Aveil die Vegetation zuvor noch nicht weit 
genug hervorgelockt ist. Wie wir schon erwähnten, bedingte ja auch einerseits in Ostmittel 
europa clie längere Schneebedeckung und die länger anhaltende Wahrscheinlichkeit kalter Kon 
tinentalluft ein Hinauszögern der Vegetationsentwickliing gegenüber dem Westen, wo dann 
andererseits die höhere Zahl vorheriger Avärmerer TemperaturAverte als Positivum hinzukommt. 
Die einstrahlungsbegünstigte und von kontinentaler Kaltluft weitgehend verschonte Ober 
rheinische Tiefebene zeigt naturgemäß ebenso Avie die westdeutschen Täler in dieser
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.