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Joachim Blütligen: Geographie der winterlichen Kaltlufteinbrüdie in Europa.
behaupten sich daher unter langsamem Zurückweichen in Ostfrankreich, in der Auvergne, in
der Schweiz, in der Oberrheinebene und in Oberdeutschland. So werden z. B., wie auch
W. Peppier (1925 [b]) betont, dunst- und nebelreiche, dabei still lagernde Kaltluftansammlungen
in der Oberrheinebene von der in der Flöhe vordringenden Warmluft nur schwer auf gezehrt, da
die Vogesen einerseits die westliche Luft in ein höheres Niveau zwingen, das (nach Peppier)
etwa 500 m rel. Höhe über der Rheinebene besitzt, und der Schwarzwald auf der anderen Seite
das Zurückweichen der Kaltluftreste nach Osten aufhält. Jedoch muß hier gleich hinzugefügt
werden, daß auch mildere Luft in der Oberrheinebene eine ähnliche Beharrungstendenz zeigt,
und der Schwarzwald dann oft die Zufuhr von Kaltluft aus Osten ablenkt, wenn nicht gar ver
hindert. Starke Strahlungskälte wird zudem infolge cler kräftigen Dunstbildung im Oberrhein
talgraben gehemmt.
Ist der Vorstoß warmer Luft nicht sehr kräftig, so pflegt sich der kalte Siidoststrom südlich einer Linie Bern—
Ulm—Prag—Breslau—Königsberg zu halten. Die Sudeten liegen dann im Grenzbereidi südwestlicher und siidöst-
lidier Luftströmungen. Der durch sic bewirkte Stau- bzw. Föhneffekt ist als der audi während der anderen Jahres
zeiten wichtigste dynamische Bestandteil im Klima Schlesiens von O. Moese (1937) hervorgelioben worden. Bei
NO-KE hat die Kaltluft zwar das Bestreben, die Sudeten an den Paßstellen zu überschreiten. Der Staueffekt madit
sich jedoch in einer Stratusdeckenbildung bemerkbar. Bei größerer Labilität und Feuchtigkeit, also bei polar
maritimer Luftzufuhr aus NW bis N, madit sidi der Stau trotz des dann nur schrägen Auftreffens auf das Gebirge
deutlich geltend, indem die durch Aufheiterungslüdsen getrennten Instabilitätsschauer am Gebirgskamm zu anhal
tendem Graupel- bzw. Schneenieclerschlag zusammenwachsen (Moese, S. 9). An dem Wechsel in der Struktur und
Intensität des festen Niederschlags ist diese Form cler Stauung von Schauern jedoch immer leicht zu erkennen, auch
wenn ein Unterschied in der LIimmelsbedeckung vom Boden aus nicht mehr lestzustellen ist.
Die für SO-KE typischen Föhnerscheinungen in den Sudeten vermögen auf der Leeseite des Ge
birges die Temperatur beachtlich zu steigern, während entlang cler Odemiederung der Advektivfrost noch erhalten
bleibt. Das bedeutet eine Minderung der Sdmeehöhe auf dem Nordabfall der Sudeten, die übrigens noch stärker her
vortritt infolge des den Schneefall begünstigenden Staueffektes hei den häufigen Südwestlagen auf der böhmischen
Seite. Andererseits mildert die Nordexposition infolge der dort unter äuerst flachem Winkel eintreffenden mittäg
lichen Sonnenstrahlen, die schon bald am Nachmittag wieder hinter den Kämmen verschwinden, diesen Gegensatz
herab. Jedem Schiläufer wird die hartnäckige Erhaltung einer verharschten und vereisten Altschneedecke bei
trockenen Südostwinden am Nordhange des Riesengebirges, etwa bei Brückenberg-Krummhiibel, eine unliebsame und
zudem gar nicht so seltene Erinnerung sein. So sehr also die Heranführung südosteuropäischer Kaltluft mit SO-
Winden für das schlesische Tiefland von Bedeutung ist, so große temperatursteigernde Wirkungen ergehen sich aus
dieser Wetterlage für den Nordabfall der Sudeten durch Fühneffekt und für die Südhänge durch steilere Insolations
wirkung. Für den Böhmerwald ist dieser Gegensatz beim Rückzug der kontinentalen Kaltluft weniger ausgeprägt,
weil hier der orographisch bedeutende Abfall auf der Ostseite fehlt.
Auf noch einen für Mitteleuropa außerordentlich charakteristischen Unterschied muß hin
gewiesen werden, der sich ergibt bei einem Abschnüren der Kaltluft am Ostrande eines selb
ständigen mitteleuropäischen Kaltluftkissens gegenüber dem frontalen Rückzug mit Süclost-
strömungen nach Osteuropa. Im ersten Falle entwickelt sich über dem flachen Kaltluftkissen
eine ausgedehnte, bis zum Boden reichende strömungsarme Nebelschicht, die zu einem sehr aus
geglichenen täglichen Temperaturgang mit sehr geringer Amplitude führt. Im zweiten Fall
dagegen besteht, mit Ausnahme der unmittelbaren Frontnähe, heiteres Wetter. Erst bei einer
geringeren Mächtigkeit der zurückweichenden Kaltluftzunge tauchen Cirrusschleier auf, die die
tägliche Insolation, noch weit mehr aber die nächtliche Ausstrahlung abdämpfen. Zu dieserZeit tritt
dann im Riesengebirge clie typische Moazagotl-Föhnwolke über dem Hirschberger Kessel auf.
Die Windstärke ist auch am Boden dabei oft nicht gering, die Kaltluft advektiven Ursprungs.
Das Erscheinungsbild eines solchen. Kaltluft rück zuges bei Südostwinden gibt clie
nachfolgende Flugwettersehilderung in anschaulicher Weise wieder (ohne Verf., Erfahrungsher. d. dt. Flugwetter
dienstes, 1937, S. 5, Nr. 25): „Ernstlich gefährdet wird cler Flugverkehr aber, wenn nach einer längeren Kälteperiode
Tauwetter eintritt. Der Witterungsumschlag pflegt sich schon einige Tage vorher dadurch anzukündigen, daß warme
Luft in der Höhe meist von S oder SW einströmt. Dadurch wird clie Kaltluftmasse, die ursprünglich 4000 m und
mehr mächtig gewesen sein kann, immer flacher, und jetzt treten erst die intensivsten Kältegrade auf. Dabei kann
zunächst noch wolkenloser Ltimmel sein. Erst später, wenn das Kaltluftkissen nur noch etwa 300 m mächtig ist, rückt
von W eine geschlossene Wolkendecke heran, und es regnet nun durch die Kaltluft hindurch. Dabei wird ein Teil des
Niederschlags in den festen Aggregatzustand übergeführt. Unterkühlungsvorgiinge dürften meines Erachtens hierbei
nur selten auftreten; denn die in größeren Tropfen notwendig vorhandene Reibungsströmung schließt sie aus. Im
allgemeinen fällt ein Gemisch von Regen und Eis. Die Kaltluftmasse ist dann zu wenig mächtig, um alle Tropfen
gefrieren zu lassen. Reiner Eiskörnerregen scheint nur selten vorzukommen.“ „Man darf sich auch nicht dazu ver