Walter Hansen: Die Strömungen im Barents-Meer im Sommer 1927 auf Grund der Diiiiteverteilung. 13
Zusammenhang sei es erlaubt, etwas näher auf die Verhältnisse der Flüssigkeitsbewegung längs festen
Wänden einzugehen. Aus den Untersuchungen Poiseuilles 16 ) geht hervor, daß zunächst kein Gleiten der
Flüssigkeit an der Rohrwand stattlinden kann 17 ), und die GeschwindigkeitsVerteilung läßt sich aus den
oben im § 2 mitgeteilten hydrodynamischen Gleichungen ermitteln. Das gilt aber nur, solange die Flüssig
keit nicht zu rasch strömt. Überschreitet die Geschwindigkeit eine gewisse Grenze, so genügt die kleinste
Störung, um die Strömung turbulent zu machen 78 ), und die hydrodynamischen Gleichungen können nicht
mehr den Bewegungszustand darstellen. Man kann das Problem übersichtlicher formulieren, wenn man
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die sogenannte Reynoldsche Zahl R einführt, es ist R == - ^ , wo q der Betrag der Geschwindigkeit, d der
Durchmesser des bei den Versuchen benutzen Rohres und v der kinematische Zähigkeitskoeffizient ist, also
v — — (nach § 2 ist ju der Reibungskoeffizient, q die Dichte). Nach den älteren Auffassungen gibt es einen
einzigen Wert R 0 mit der Eigenschaft, daß für R < R 0 die hydrodynamischen Gleichungen gelten, für R > R<>
die Strömung dagegen turbulent wird. Wesentlich für Prandtls Theorie ist nun, daß es nicht nur einen
Wert R 0 gibt, sondern deren zwei, und zwar charakterisiert die eine Größe die Bewegungsart an der Be
grenzung, die andere in der freien Flüssigkeit. Über die Dimension der Grenzschicht gibt Larnb Aus
kunft 14 ). Die Dicke der Schicht mit Laminarbewegung wird nach Stantons Versuchen mit dem Bruchteil
eines Millimeters angegeben. Es handelte sich hierbei um das Strömen von Luft in leicht aufgerauhten
Röhren. Daß die Bewegung im Meere turbulent ist, scheint sicher zu sein 20 ), wenn auch schwer zu ent
scheiden ist, in welcher Weise sich die modernen hydrodynamischen Ergebnisse auf die Verhältnisse im
Meer übertragen lassen. Das liegt zum wesentlichen darin, daß wir keine ausreichenden Geschwindigkeits
beobachtungen haben, vor allen Dingen nicht in unmittelbarer Nähe des Bodens, andererseits wird man
Grenzschichten, wenn sie nur einige Zentimeter Ausdehnung besitjen, wohl gar nicht durch direkte Be
obachtungen erfassen können. Daß die Dinge hier ähnlich liegen, folgert man aus der Tatsache, daß etwa
die Geschwindigkeit des Gezeitenstromes 21 ) bis in die Nähe des Bodens sich nur wenig ändert, dagegen in
der letjten über dem Boden liegenden Schicht außerordentlich schnell von normalen Werten auf zu ver
nachlässigende Beträge abnimmt.
Da wir annehmen müssen, daß die Bewegung im Meere turbulent ist, so dürfen wir streng genommen
die hydrodynamischen Gleichungen nicht zur Berechnung der Strömungen verwenden. Wir wollen sehen,
wie diese Schwierigkeiten behoben worden sind.
Zunächst erkannte man, daß der Reibungskoeffizient für reines Wasser, der bei 0° C 0.018 cm' 1 • g • sec.' 1
beträgt, für die Strömungsvorgänge im Meere nicht zu verwenden war, so würden winderzeugte Meeres
strömungen nicht einmal einen Meter in die Tiefe reichen können“). Eine bessere Übereinstimmung zwischen
Beobachtungen und theoretischen Untersuchungen erhielt man, als man den virtuellen Reibungskoeffi
zienten, der Werte bis 200 cm' 1 ■ g • sec." 1 und mehr erreichen kann, in die hydrodynamischen Gleichungen
einführte 25 ). Dadurch bekommen die Ergebnisse den Charakter von Mittelwerten, so daß man über die
Feinheiten der Geschwindigkeitsverteilung nichts erfahren kann. Eingehendere Untersuchungen haben ge-
le ) Poiseuille: Recherches expérimentales sur le mouvement des liquides dans les tubes des très petits diamètres. Comptes
Rendus 11, 12 (1840 bis 41) Mem. des. Sav. Extrangers IX (1846).
17 ) Lamb, H.: loc eit. S. 661.
ls ) Reynolds: An Experimental Investigation of the Circumstances which determine whether the Motion of water shall
be Direct or Sinnous, and of the Law of resistance in parallel channels, Phil. Trans. CLXXIV 935 (1883) papers, II51.
1# ) Lamb, H.: loc. cit. S. 756.
*°) Defant: Dynamische Ozeanographie. S, 89 und Thorade: Methoden z. Stud. d. Meeresström. S. 3037.
21 ) Thorade: Mischung, Turbulenz und Grenzfläche, Rapports et procès-verbaux, vol. LXXVI Kopenhagen 1931, S. 53.
22 ) Defant: Dynamische Ozeanographie, S. 75.
23 ) Ekman: On the influence of the earth’s rotation on ocean currents. Ark. f. Math. Astr. o. Fys. Bd. 2, Nr. 11, Stock
holm 1905, und Beiträge zur Theorie der Meeresströmungen. Ann. Hydr. u. mar. Meteor., 1906, Seite 423 ff.