Rudolf Geiger und Fritz Wagner: Höhenwinde vor der westafrikanischen Küste
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dem Einsteigeschacht zum Proviantraum, der genügend groß war, um auch die Ballone bis zu
einer Steiggeschwindigkeit von 350 m/min füllen zu können, und der auch genügend freilag, um
von dort aus die Ballone zu starten. Der Theodolit wurde immer auf dem Poopdeck aufgestellt,
und bei den vorherrschenden vorderlichen Winden konnten von dort aus ohne jede Behinderung
die Ballone verfolgt werden. Die Erschütterungen durch die Schraube und die Rudermaschine
machten sich meistens nur so gering bemerkbar, daß sie das Verfolgen der Ballone nicht
erschwerten. Die stärkeren Schiffsbewegungen lernten wir schnell durch entsprechende Bedie
nung des Theodolits ausgleichen.
Sobald man die Einwirkung der Schiffsschwankungen auf die Bewegung des Ballonbildes
im Gesichtsfeld des Theodolits ausgleichen gelernt hat, bereitet das Verfolgen eines Ballons
keine Schwierigkeiten mehr. Nur dann besteht Gefahr, den Ballon bei sonst guten Beobachtungs
bedingungen zu verlieren, wenn der Ballon seine Helligkeit gegenüber dem Hintergrund
wechselt 17 . Meistens sind zunächst die Beleuchtungsbedingungen so, daß der Ballon dunkel
vor dem hellen Himmel steht. Mit zunehmender Höhe wird infolge der Ausdehnung des Ballons
sein Reflexionsvermögen des Sonnenlichtes besser, und er wird dadurch heller als der Hinter
grund. Der Ballon ist dann als leuchtender Punkt ohne besondere Farbe vor dem dunkleren
Hintergrund zu sehen. Besonders in diesem Fall bewährt sich eine Farbblende, da durch sie der
Kontrast zwischen Ballon und Hintergrund erhöht wird und infolge der allgemeinen Licht-
abschwächung das Unterscheidungsvermögen des Auges verstärkt und die Ermüdung des Auges
herabgesetzt wird. Das Vorschalten einer Farbblende ist mit Vorsicht vorzunehmen, weil der
Ballon leicht aus dem Gesichtsfeld herauswandert, bevor sich das Auge an die neue Färb- und
Helligkeitsverteilung gewöhnt hat. Für die Seeaufstiege wurde ohne Ausnahme das Okular mit
der lOfachen Vergrößerung wegen seines großen Öffnungswinkels genommen, bei den Land
aufstiegen jedoch das Okular mit der 20fachen Vergrößerung.
Das Verfolgen der Ballone wird wesentlich erleichtert, wenn man das nicht beschäftigte
Auge vor Windbehinderung und Sonnenblendung schützt. Bei uns hat es sich bewährt, ein
Stück festen Karton (Aktendeckel oder ähnliches) von Postkartengröße unter den Mützenrand
so einzuschieben, daß das ruhende Auge davon bedeckt wird. Dieses wirkt besonders in
tropischen Gebieten weniger behindernd als eine feste Augenbinde.
Das Abwägen der Ballone geschah mit der bewährten Fülltülle von Hartmann und Braun,
deren Gewicht sich durch Aufsteckgewichte für die erforderlichen Auftriebswerte herrichten ließ.
Der Steiggeschwindigkeit wurden die Werte von Kuhlbrodt zugrunde gelegt, die nach den
„Meteor“-Beobachtungen berechnet worden sind 18 .
Auf der Ausreise wurden von Bord des D. „Livadia“ während 18 Tagen 37 Aufstiege durch
geführt und auf der Heimreise von Bord des D. „Wigbert“ während 12 Tagen 29 Aufstiege.
Von den insgesamt 66 Höhenwindmessungen erreichten 9%. Höhen über 15 000 m, 18% Höhen
über 10 000 m und 35% Höhen über 5000 m.
Nach Verlassen von Le Havre wurde am 18. Oktober 1930 mit den Höhenwindmessungen
begonnen. Am 20. und 21. Oktober konnten in der Biskaya und vor der Iberischen Halbinsel
je nur ein Aufstieg gemacht werden, da durch die starken Gier- und Rollbewegungen des
Schiffes die Beobachtungen nur sehr schlecht durchzuführen waren, und da eine tiefe, fast
geschlossene Wolkendecke keine nennenswerten Höhen erreichen ließ. Eine Unterbrechung der
Aufstiegsfolge trat am 30. Oktober ein, als D. „Livadia“ Dakar anlief. Auf besonderen Wunsch
des Herrn Kapitäns unterließen wir die Höhenwindmessungen während der Liegezeit in Dakar
17 Wegener-Kuhlbrodt, S. 14 und 16.
18 E. Kuhlbrodt, Die deutsche atlantische Expedition. Ann. d. Hydr. usw. 1927, S. 245.