Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 1914 Nr. 1
2
Unter diesen Umständen lag es nahe, durch „Möwe“ einige spezielle Probleme der Meereskunde
tunlichst fördern zu lassen; als solche boten sich in erster Linie die physikalischen Verhältnisse in den
Kaltwassergebieten vor der nordwestafrikanischen (marokkanischen) und vor der südwestafrikanischen
Küste dar, die teils durch kühle Meeresströmungen, teils durch vertikalen Auftrieb bedingt werden.
Senkrecht zur Küste verlaufende Profile mit genauer Bestimmung der Temperatur und des Salzgehaltes
bis rund 1000 m Tiefe sollten in durchschnittlich 200—250 Sm west-östlicher Erstreckung gewonnen werden
mindestens zweimal im Kanarenstrom, nämlich auf der Höhe von Mogador und nördlich von Kap
Verde, sowie dreimal im Benguelastrom, nördlich und südlich vom Kongo und auf der Höhe von Swa-
kopmund. Die Fahrt in dem Guineastrom von Freetown, bezw. Kap Palmas bis Duala andererseits bot
Gelegenheit, durch einen Längsschnitt in einem ausgesprochenen Warmwasser gebiet die von den Kalt
wasserzonen voraussichtlich erheblich verschiedenen Verhältnisse zu prüfen.
Soweit möglich, sollten auch frühere Stationen des „Planet“ wiederholt werden, z. B. westlich von
der Gibraltarstraße und dann — später — westlich von Kapstadt, nicht so sehr deshalb, um die älteren
Beobachtungen zu prüfen, als vielmehr zu dem Zwecke, Abweichungen der Temperatur- und Salzgehalts
beträge in verschiedenen Jahren festzustellen.
Bei den Tiefseelotungen im Bereiche des Nordatlantischen Ozeans waren nirgends besondere
Überraschungen zu erwarten und auch keine Spezial auf gaben gestellt, Im südatlantischen Bereich
jedoch sollte unsere Kenntnis von je einer „Großform“ und „Kleinform“ durch Tiefenmessungen noch
ergänzt werden: erstens sollte auf N—S-Kurs die Stelle des näheren erkundet werden, wo der Wal
fischrücken, dessen unterseeische Gestalt „Planet“ in so hohem Maße kennen gelehrt hatte, an das afri
kanische Festland angegliedert ist; und zweitens wurde der Wunsch ausgesprochen, die unterseeische
Talfurche des Kongo in ihrem mittleren noch unvermessenen Stück sorgsam abzuloten. Bei der außer
ordentlichen Schärfe des Einschnittes, bei den unsicheren starken und stark wechselnden Stromverhält
nissen im Mündungsgebiet des Kongo war dies eine aller Voraussicht nach recht schwierige Aufgabe,
schon vom navigatorischen Standpunkte aus.
In aerologischer Hinsicht wurden Drachen- und Pilotballonaufstiege auf dem ganzen Reisewege
besonders an den sogenannten „internationalen“ Beobachtungstagen empfohlen; im SO-Passat sollte,
wenn tunlich, etwa auf 20° S-Br. ein Vorstoß nach Westen bis 5° O-Lg. unternommen werden, um im
reinen, durch Küsteneinflüsse nicht gestörten Passat Höhenbeobachtungen zu erhalten, weil S. M. S.
„Planet“ 1906 in diesem Windgebiet offenbare Ausnahmeverhältnisse angetroffen hatte. Dieser Vorstoß
hat infolge ungünstiger Witterung nicht ausgeführt werden können, wie auch sonst die aerologische
Tätigkeit vielfach in den Hintergrund hat treten müssen.
Das soeben ungefähr skizzierte ozeanograpliische Programm ist dagegen in allen seinen Haupt
punkten erledigt worden. Auch größere astronomische Aufgaben hatte das Kommando miterhalten,
z. B. Bestimmung des Längenunterschiedes Togo—Accra durch Chronometer-Standbestimmungen u. a. m„
doch kann darauf hier nicht eingegangen werden.
Reiseverlauf 1 ) (Fig. 1). Nach Erledigung einer mehrtägigen Probefahrt in der nördlichen Nord
see, wobei die wissenschaftlichen Maschinen und Instrumente einer praktischen Untersuchung unter
worfen wurden, verließ S. M. S. „Möwe“ am 3. Mai 1911 nachmittags Wilhelmshaven endgültig und ge
langte über Ferrol am 20. Mai nach Cadiz; dabei wurden westlich und südlich von der portugiesischen
Küste an früher (1906) auch von S. M. S. „Planet“ eingenommenen Positionen teils zur Einübung des
Personals, teils zum Vergleich mit dem Ergebnis der früheren Messung die ersten Reihenmessungen aus
geführt. Desgleichen gelang ein erster Drachenaufstieg auf der Höhe von Lissabon. Im übrigen diente
naturgemäß dieser erste Reiseabschnitt dazu, einen genauen wissenschaftlichen Routinedienst einzu
richten. Die meteorologischen Beobachtungen sollten während der ganzen Ausreise vierstündlich vor
genommen werden und erstreckten sich zunächst auf die in den üblichen meteorologischen Tagebüchern
*) Vergl. hierzu auch die „Bilder aus der Vermessungstätigkeit der Kaiserlichen Marine“: Auf S. M. S. „Möwe“ von
Rapt.-Leutnant Sclilenzka; in Sammlung Meereskunde, Heft 78. Berlin 1913.