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Full text: 34, 1911

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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte. 1911, Xr. 2. 
obachtung bedeutend mehr als die Refraktion, welcher die Alten bekanntlich keine Rechnung trugen. 
Speziell im mittleren und südlichen Indien betrug sie — sie ist bekanntlich der Tangens der Zenitdistanz 
proportional — zur Zeit der Äquinoctien, wo eben die Zenitdistanz der Sonne sehr gering ist, höchstens 
30—45 Bogensekunden. Das Rechnen selbst geht bei ihnen ohne Bleistift und Feder erstaunlich rasch und 
sicher mittels Kaurimuscheln vor sich, hat aber den Nachteil, daß eine Kontrolle unmöglich ist, indem 
beim Weiterschreiten der Rechnung das Vorausgehende stets auseinandergeworfen wird. Nur die Sonnen- 
und Mondstafeln l ) stehen auf Palmblättern, die sie in kleine Büchelchen gebunden haben und beim Ge 
brauche nachschlagen, dabei ihre rätselhaften Verse, welche die Rechenvorschrift enthalten, beständig 
hersagend 2 ). 
Auf unsere Frage, nach der Bestimmung der Polliölie, erhält man nähere Auskunft aus den 
astronomischen Siddhäntas oder Systemen, die jedoch noch sehr wenig in europäische Sprachen über 
setzt sind. Das anscheinend älteste und berühmteste dieser Werke ist der Sürya-Siddhänta oder 
„die sichere Wahrheit enthüllt durch die Sonne“, 1860 im Journal of the American oriental Society von 
Burgess in englischer Sprache veröffentlicht und mit ausführlichen Erläuterungen versehen. Bei dem 
außerordentlich konservativen Sinn der Hindus weisen aber auch viel später entstandene Siddhäntas 
gegen diesen ersten keinen Fortschritt auf, so daß man mit viel Wahrscheinlichkeit annehmen darf, daß 
die ursprünglichen Methoden, wie sie in den ersten Jahrhunderten n. Ohr. entstanden, unverändert bei- 
behalten worden sind 3 ), und so glaubten wir uns auf das Studium des Sürya-Siddhänta, der uns am 
leichtesten zugänglich war, beschränken zu dürfen 4 ). Ein Auszug desselben bildet übrigens auch den 
Appendix zu J. B. Biots schon zitiertem Werk über indische Astronomie. 
Bekanntlich finden sich die Regeln und Sätze der indischen Astronomen in Form von Versen ohne 
Spur eines Beweises angeführt. Burgess hat denselben jedem lemma jeweils hinzugefügt. Dieselbe Auf 
gabe hatte Nallino bei Al-BattAnts opus astrononicum, während Sedillot das Werk von 
Ab ul Hassan ohne Verifikation der merkwürdigen arabischen Rechnungen und Konstruktionen in 
französischer Übersetzung veröffentlichte. Sein Inhalt wird uns im fünften Kapitel ausführlich beschäftigen. 
Aus der alleinigen Verwendung der Proportion folgt schon, daß die Methoden der Inder zur 
Auffindung der geographischen Breite nicht vielgestaltig sein können. In der Tat existieren nur 
zwei Möglichkeiten: 
1. die Bestimmung der Polhöhe, falls die Sonne keine Deklination hat (Tag- 
und Nachtgleiche); 
2. die Ermittlung derselben bei beliebiger Sonnendeklination. 
Beide Aufgaben sind im III. Kapitel des Sürya-Siddhänta enthalten, und wir führen sie in extenso vor: 
1. Gegeben der Mittagsschatten eines Gnomons von bekannter Länge zur Zeit 
des Äquinoctiums; gesucht die Breite (latitude-aksha) und die Äquatorhöhe (cola- 
titude-lamba) des Beobachtungsortes; 
Vers 13 und 14 des genannten Kapitels enthalten die Antwort: der Radius der Ilimmels- 
kugel, multipliziert mit der Länge des Gnomons oder seines Schattens und dividiert 
durch die Äquinoctial-Hypotenuse, gibt den Sinus der Äquatorhöhe bzw. der geo 
graphischen Breite; die entsprechenden Bögen sind Äquator- und Po 1 höhe selbst. 
Zum Verständnis dieser Regel diene Fig. 6. SZ ist ein Quadrant des Meridians, C das Zentrum der 
Welt; EC die Projektion der Äquatorebene auf den Meridian. Ist dann Cb der Gnomon, so wirft er in 
dem Augenblick, wo die Sonne im Äquator und Meridian, also in E, steht, den Schatten br auf die wag 
rechte Stelle des Bodens. Da man sowohl 1>C als auch he kennt, so ergibt sich die Länge der Äquinootial- 
hypotenuse 
q Und wohl auch die Simistafeln. 
-) Vgl. Neue Sammlungen von Reisebeschreibnngen von Dr. Ebeling, II. Teil, S. 409 ff. (aus Le Gentils Reisen 
in den indischen Meeren in den Jahren 1761—69). 
a ) So werden auch die Rechenvorschriften und die Handhabung ihrer Tafeln, die Le Gentil beschreibt, schon in 
früherer Zeit gegolten haben. 
4 ) Die übrige noch einschlägige Literatur siehe bei v. Braunmiilil, Volles, usw. I, S. 42.
	        
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