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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte. 1911, Nr. 5.
Temperaturgefälle, das wir zum Ausgangspunkt nehmen, ist nur etwa halb so groß wie das adiabatische
in absteigender oder kondensationsfrei aufsteigender Luft. Selbst Aufsteigen mit Kondensation gibt durch
schnittlich etwas größeres Temperaturgefälle. Jede Auf- und Abbewegung (jeder vertikale Luftaustausch)
bedingt also Verstärkung des normalen Temperaturgefälles.
Die vollkommenste Sperrschicht ist die feste oder flüssige Erdoberfläche. Im unteren Teile jeder
Zirkulationsschicht überwiegt abgcsticgcnc, im oberen Teile aufgestiegene Luft mit allen ihren Eigen
schaften, also auch am Erdboden nicht gleichförmige, sondern verzögerte Bewegung. Zugleich muß an den
unteren Grenzen von c x und c., die Feuchtigkeit abnehmen, an den oberen zunehmen. Nimmt der Wind im
allgemeinen mit der Höhe zu, so muß er durch die Zirkulation an den Untergrenzen von r, und c 2 stärker,
an den oberen schwächer werden als vorher, und zwar mehr, als den Gradienten entspricht; nimmt er
nach oben ab, so ist die Wirkung umgekehrt.
Die starke Zickzacklinie in Fig. 10 zeigt die resultierende Temperaturverteilung anschaulich. Die
begleitenden Feuchtigkeitsunterschiede übertreffen, wie wir gesehen haben, sogar alle Erwartung, so daß
in dem wirklichen Befund entweder noch andere Ursachen der Austrocknung oder Mängel des Instruments
mitwirken mögen. Die Windverhältnisse in den Inversionen sind, wegen der summierenden Angaben des
Drachenanemomcters und der Dünne der Sperrschichten, vorläufig noch schwierig zu untersuchen.
Selbstverständlich wird der Wärmegehalt der Atmosphäre und ihrer Teile in erster Linie von der
Zufuhr der Wärme durch die Sonne und den Wärmeverlust durch Ausstrahlung, beides teils direkt, teils
durch Vermittlung der Erdoberfläche, sowie durch den horizontalen Lufttransport bestimmt; aber die
vertikale Verteilung der Temperaturen, in denen er sieh äußert, wird ganz vorwiegend von den vertikalen
Bewegungen beherrscht.
Versuchen wir es, aus den Tatsachen der vorliegenden Untersuchung und sonstigen Feststellungen
uns ein Bild von dem vorherrschenden Zustand der Atmosphäre über Hamburg zu entwerfen, so gelangen
wir zu einem, das von dem vor zwölf Jahren von Berson und Süring nach den Berliner Luftfahrten
entworfenen x ) beträchtlich abweicht. Möglich, daß das von uns entworfene sich noch bälder einer Änderung
bedürftig zeigen wird. Ohne also übergroßes Gewicht darauf zu legen, möchten wir doch die folgende
Zusammenfassung unseren Lesern vorlegen, da ohne solche Versuche es schwierig ist, die Masse von Einzel
tatsachen klar zu erfassen.
Innerhalb der Troposphäre, die über Hamburg durchschnittlich bis etwas über 10 km Seeliöhe reicht,
unterscheiden wir folgende normale Höhenschichten. Da sie allmählich ineinander übergehen, sollen die
Höhenangaben nur ganz ungefähre Anhaltspunkte sein. Zu ihrer Charakteristik wollen wir auch die täg
liche Periode der Windstärke und die im Anhang zu dieser Abhandlung wiedergegebenen Mittelwerte der
relativen Feuchtigkeit heranziehen. Wir gelangen zu folgender Einteilung:
a) 0—100 m Seehöhe. Direkter Einfluß von Bodenreibung und Bodenstrahlung. Rasche Zunahme
der Windgeschwindigkeit mit der Höhe. Starke jährliche und tägliche Schwankung der Temperatur,
sommermittags weit über adiabatische Temperaturabnahme, Luft aus größerer Höhe stammend; winter-
nachts Inversion, Luft stagnierend. Keine aufgestiegene Luft in der Nähe des Bodens möglich, daher der
durchschnittliche Zustand bewegter Luft Verzögerung. Mittägliche Windzunahme. Infolge zwangsweiser
Durchmischung bewegter Luft überwiegt hier auch in Winternächten Temperaturabnahme und Feuchtigkeits
zunahme nach oben, Nebel beginnt häufig erst 20—100 m über dem Boden.
b) 100—600 m Seehöhe. Mittelbarer Einfluß von Bodenreibung und Bodenstralilung. Zunahme der
Windgeschwindigkeit langsamer, als in a); vertikaler Luftaustausch bringt Luft teils von oben, teils von
unten; letzterer Anteil ist wirksamer, weil mehr abweichend, daher mittägliche Schwächung des Windes.
Windrichtung mit der Höhe nach rechts drehend, in südöstlichen Winden um zwei, in nordwestlichen um
einen Strich. — Sommermittags überadiabatische Temperaturabnahme, keine Kondensationen. aufwärts
zunehmende Feuchtigkeit. Oktober bis Januar Sitz der größten Inversionen, im Mittel aber große
Feuchtigkeit, die langsam aufwärts abnimmt.
c) 600— 3000 (4500 ?) m Seehöhe. Unterer Teil der freien Troposphäre. Inversionen an Größe und
im Winter auch an Häufigkeit nach oben abnehmend; im Sommer oben häufige, aber kleine Inversionen.
Mittlere Luftfeuchtigkeit im September bis April durchweg, im Mai bis August nur oberhalb 1000 m, auf-
') Aßinauu und Berson, Wissenschaftliche Luftfahrten. Dritter Band.