Ans dem Archiv der Deutschen Seewarte — 1901 No. 1 —
24
apparat zu tragen bekommt. Solche parallele Aufzeichnungen mit ca. 300 in Höhenunterschied können un
zweifelhaft sehr lehrreich werden, und eine feste Kausch im Draht, 500 m vom Ende, bietet erfahrungsgemäss
beim Aufwickeln kein Hinderniss. Weiterhin aber sollten Hülfsdrachen erst dann angesetzt werden, wenn
man zu stärkerem Draht übergeht. Natürlich handelt es sich hierbei nur um ein Prinzip für normale Ver
hältnisse: unerwartete Aenderungen der Windstärke können zu allerhand Abweichungen nötliigen.
Ueber die Art der Anbringung neuer Drachen an die Leine und andere Einzelheiten findet man das
Nähere im Abschnitt 7. In diesem allgemeinen Abschnitt dagegen haben wir noch drei für die Stellung der
Aufgabe und die Entschliessung über die Inangriffnahme von Drachenbeobachtungen maassgebende Punkte
zu besprechen: (1) die von dem angestrebten Zweck abhängige Höhe und Häufigkeit der Aufstiege, (2) die
Häufigkeit der mehr und weniger geeigneten Windstärken, endlich (3) Terrain, Ausstattung und Kosten einer
Drachenstation.
Zweck, Höhe und Häufigkeit der Aufstiege. Der Zweck der Drachenaufstiege für jetzt und
auf längere Zeit hinaus ist ein wissenschaftlicher, kein praktischer: der Ausbau unserer noch ganz mangel
haften Kenntnisse über die meteorologischen Vorgänge in der freien Atmosphäre, ihr Unterschied in Zyklonen
und Antizyklonen, in kalten und warmen Luftströmungen, bei Tage und bei Nacht u. s. w., und die Ge
winnung eines besseren Einblicks in die Mechanik des Luftmeers, als dieses nach Beobachtungen an der
Erdoberfläche möglich ist. Dass dieser Einblick auch praktische Früchte zeitigen, insbesondere das grosse
Problem der Wettervorhersage mächtig fördern wird, ist ebenso sicher, wie es verfehlt wäre, solche Früchte
von einem Baum zu verlangen, der noch kaum gepflanzt ist.
Die grossen Reihen von Drachen-Meteorogrammen, die auf den Stationen des Washingtoner Weather-
Bureaus und in Trappes gewonnen sind, liegen noch beinahe unbearbeitet. Kräftig ausgenutzt ist bis jetzt
nur ein Theil der Drachenaufstiege vom Blue Hill, namentlich durch Mr. Clayton und Herrn Sandström,
die schon recht werthvolle Aufschlüsse geliefert haben. Herr Sandström hat die vier Aufstiege der Tage
vom 21. bis 24. September 1898 zu einer sehr interessanten Prüfung der Bjerknes’schen Theorie der atmo
sphärischen Zirkulationen verwendet.
Studien über die Natur der wandernden Zyklonen und Antizyklonen, die unser Wetter beherrschen,
wie die eben erwähnten, werden am besten gefördert, wenn man an Gruppen von aufeinander folgenden
Tagen mit interessanter Wetterlage hohe Aufstiege, mindestens über 1500 m hinaus und mindestens einen
pro Tag, gewinnt. Gerade in dieser Höhe der unteren Wolkenregion haben sich am häufigsten charakter
istische Störungen in der vertikalen Vertheilung der Temperatur, der Feuchtigkeit und der Stärke und Rich
tung des Windes gezeigt, die höher hinauf gewöhnlich einer regelmässigeren Aenderung mit der Höhe Platz
machen. Die Vergleichung mit der synoptischen Wetterkarte ist bei solchen Aufstiegen eine nothwendige
Vorbedingung für ihre zweckmässige Ausnutzung. Um die übrigen Aufgaben des Observatoriums nicht wegen
der Drachenaufstiege vernachlässigen zu müssen, werden die letzteren auf dem Blue Hill jetzt stets gruppen
weise nach der Wetterlage, mit wochenlangen Zwischenräumen ohne Aufstieg, gemacht. Korrespondirende
gleichzeitige Aufzeichnungen aus der freien Atmosphäre von mehreren Orten werden natürlich einen erhöhten
Werth beanspruchen können. Es ist jedoch schwer, bei der Unbeständigkeit des Windes solche zu erhalten.
Anders stellt sich die Aufgabe, wenn man mit den Drachenaufstiegen klimatologisclie Zwecke verfolgt.
In den Tropen, wo die unperiodischen Aenderungen gering sind, wird es von grossem Interesse sein, durch
eine Anzahl hoher Aufstiege Fragen des allgemeinen normalen Kreislaufs der Atmosphäre näher zu be
leuchten, für deren Lösung es jetzt noch sehr an Material fehlt; wie z. B. nach der Höhe der Monsune und
Passate und nach der Vertheilung von Temperatur und Feuchtigkeit in ihnen und womöglich auch über
ihnen.
Daneben wird es in allen Breiten von grossem Werth sein, die Kenntnisse, die man über die tägliche
Periode der Erscheinungen, vorwiegend in Mitteleuropa, gewonnen hat, in anderen Gegenden, und namentlich
auf dem Ozean, zu prüfen und zu vervollständigen. Da diese Vorgänge sich überwiegend in den unteren
300 m abspielen, — hat doch der Eiffelthurm höchst werthvolles Material zu deren Studium geliefert —
so genügen für diesen Zweck kleine, aber über alle Tageszeiten sich erstreckende Aufstiege. Die nöthigen
Aufzeichnungen gewinnt man entweder dadurch, dass man einen Drachen möglichst lange in der Höhe ■—
etwa 300 m über dem Boden —• lässt, oder dadurch, dass man oft wiederholte kurze Aufstiege macht; der
letztei’e Weg ist wohl der zweckmässigere, der mit weniger Gefahr bedeutend reichhaltigeres Material giebt.
Da ein Aufstieg auf 800 bis 1000 m Höhe bei günstigem Winde nur J / 2 dis 3 h Stunde aufwärts und etwa