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Ans dem Archiv der Deutschen Seewarte — 1901 No. 4 —
könnten sowohl veranlassen, dass die Hülfskompensation zu früh in Wirksamkeit tritt, als auch, dass ein
Kleben und später ein plötzliches Abreissen der Anlehnungsstücke stattfindet. Letzterer Fall sei er-
falirungsgemäss häufig die Ursache beträchtlicher Gangstörungen geworden.
Diesseits kann obigen Anführungen nach den Erfahrungen, welche das Observatorium bis jetzt gesammelt
hat, nicht unbedingt zugestimmt werden, jedenfalls sind hier die oben angeführten Gründe nie die Ursache
beträchtlicher Gangstörungen geworden. Nach eigener Anschauung sowohl als auch nach Erkundigungen,
welche das Observatorium bei den hiesigen für das Institut arbeitenden Chronometermachern eingezogen
hat, wird weder die Unruhe noch die Spirale auch nur mit dem geringsten Hauch von Oel versehen, sie
bleiben im Gegentheil vollkommen trocken, werden sogar mit Kohle pp. besonders sorgfältig abgerieben,
— nicht einmal die Zähne der ineinander greifenden Räder erhalten einen Oelbezug — damit nur ja kein
Oel mehr daran haftet, weil dieses einerseits die betreffenden Theile unnöthig beschwert, andererseits aber
auch ein An- bezw. Festsetzen von Staub begünstigt; nur die Zapfenlager erhalten einen kleinen Oeltropfen.
Der einzige Theil, welcher stärker geölt wird, damit er sich möglichst gleichmässig während der
Bewegung abwickelt, ist die Zugfeder. Diese wird aber, nach diesseits eingezogenen Erkundigungen bei
mehreren älteren erfahrenen Chronometermachern, nicht direkt geölt, sondern durch in Oel getränktes
Seidenpapier gezogen, damit kein überflüssiges Oel an der Feder haften bleibt. Wenn die Zugfeder daher
vorschriftsmässig geölt ist, so ist ein Hervorquellen von Oel unmöglich.
Sollte nun trotz aller Vorsicht ein Verspritzen des Oels stattfinden, so kann es nur durch ein kleines
Loch im Deckel des Federhauses treten, welches zum Einsetzen eines Hakens beim Lüften desselben während
der Reinigung dient. Einen so selten eintretenden abnormen Fall, muss man aber als ein Zufalls-Resultat
ansehen und kann daher dieser Grund nicht zur Aufstellung der Regel dienen, dass die Hülfskompensation
einen geringeren Grad der Zuverlässigkeit besitzt, als wie einfache Temperatur-Kompensation, weil im Laufe
der Zeit geringe Spuren von Staub und Oelpartikelchen zwischen die Unruhe und die Anlehnungsstücke
gelangten. 35 )
Bei den hiesigen Untersuchungen von Bord zurückgekehrter Chronometer hat sich niemals eine Oel-
festsetzung auf der Unruhe gezeigt; 36 ) Staubbildung nur dann, wenn durch Feuchtigkeit Rost oder
Schimmel erzeugt worden war. Die Unruhe selbst ist ja auch immer in Bewegung, es kann sich auf dieser
daher, so lange sie rein ist, kein Staub ansetzen.
Sollten wirklich gei'inge Spuren von Oelpartikelchen und Staub — meist bestehend aus von dem Räder
werk abgearbeiteten Messingspähnchen — an die sich bewegenden Theile gelangen, so kann, wie Dr.L. Ambronn
in dem Handbuch der nautischen Instrumentenkunde (Berlin 1899, Band I, Seite 260) als Befürchtung aus
spricht, wohl einmal ein Kleben dieser Theile eintreten, - so dass sie nicht genau im beabsichtigten Momente
zur Wirkung gelangen, sondern erst nach Ueberwindung einer gewissen Spannung, erfahrungsgemäss
häufig tritt der Fall aber nicht auf und wird voraussichtlich ganz aufhören, wenn unserer Chronometer-
Industrie ihr Streben gelingt, die Zahnformen der Chronometerräder der Theorie des Eingriffs entsprechend
herzustellen, wie es bei den Zähnen der englischen Chronometerräder bis jetzt nicht der Fall ist; die letzteren
üben nicht nur eine Druckwirkung, sondern auch eine recht bedeutende Reibung auf einander aus, wodurch
ganz feine Messingspähne — der oben angezogene Staub — erzeugt werden.
Es erscheint jedoch auch so unwahrscheinlich, dass durch den Staub und die Oelpartikelchen ein
Kleben und später ein plötzliches Abreissen der Anlehnungsstücke verursacht wird, zumal bei den meisten
Hülfskompensationen die Berührung der Anlehnungsstücke an die Unruhe nur durch eine feine Schrauben
spitze bewirkt wird. Dass nun diese durch geringe Oel- und Staubpartikelchen erzeugte kleine Widerstands
fläche eine derartige Kraft entwickeln sollte, dass sie der Ausdehnung der verliältnissmässig starken Metalltheile
35 ) Ein Eindringen von Oel ans dem Federhaus in das Innere des Gehäuses kann ganz vermieden werden, wenn das
erwähnte Loch im Deckel durch einen leicht anzubringenden Verschluss geschlossen wird. Dass dieses noch nicht geschehen,
ist ein Zeichen dafür, dass die erfahrenen Chronometer-Fabrikanten ein derartiges Spritzen des Oels nicht befürchten. Es
wäre jedoch vortheilhaft, wenn die Chronometermacher in Zukunft auch diesen wunden Punkt ausmerzten, so dass selbst
durch Fuscherarbeit kein Verschmutzen der Theile der Hülfskompensation von hierher eintreten kann.
3C ) Nach Aussage eines hiesigen Chronometermachers ist von ihm in seiner langjährigen Praxis, in der er über
1000 Chronometer gereinigt hat, noch niemals Oel auf der Unruhe gefunden worden; ein Zeichen der Seltenheit des Vor
kommens eines derartigen Falles.