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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 1901 No. 4 —
Andererseits wird trotz der Vortheile der Hülfskompensation von verschiedenen Chronometer-Fabri
kanten, Gelehrten u. s. w. der gewöhnlichen Kompensation der Vorzug gegeben. Es sollen hier im Auszuge
einige der in diesem Sinne gefällten Aeusserungen von Negus, Caspari, sowie des Vorstandes der Ab
theilung IV der Deutschen Seewarte zu Hamburg, Dr. Stechert, mitgetheilt werden. 32 )
Negus fuhrt aus:
„Man hat in den letzten dreissig Jahren wohl nach keiner anderen Richtung so viel Zeit und Nach
denken aufgewendet und so wenig erreicht, als in der Vervollkommnung der gewöhnlichen Kompensations-
Unruhe. Die gewöhnliche Unruhe hat die Zeitprobe bestanden und ist, wenn gut hergestellt und adjustirt,
viel zweckdienlicher als irgend eine der Hülfskompensationen oder eine der bis jetzt erfundenen vervoll
kommnten Unruhen. Die ersteren sind unzuverlässig in ihren Leistungen, unbeständig und aus verschiedenen
Gründen Unordnungen unterworfen. Die letzteren zeigen in See Gänge, -welche von denen am Lande sehr
ab weichen. Von den in der ganzen Welt auf See gebräuchlichen Chronometern haben wahrscheinlich
99,99% die gewöhnliche Kompensations-Unruhe. Nur wenige von den vielen Tausend Chronometern ver
schiedener Fabrikanten, welche während eines vierzigjährigen Geschäftsbetriebes durch unsere Hände ge
gangen sind, waren von abweichender Form oder hatten Hiilfseinrichtung, und solche waren jedesmal die
unzuverlässigsten und zeigten grössere Fehler als die mit gewöhnlicher Unruhe.“
Hierzu soll gleich bemerkt werden, dass diese Abhandluug im Jahre 1882 geschrieben worden ist, und
jetzt sicherlich Negus, besonders in Betreff des letzten Satzes, anders sich äussern würde; jedenfalls stehen
die Ergebnisse dieser Abhandlung in schroffem Gegensatz zu dem Schlüsse des p. Negus.
Caspari glaubt, dass die Hülfskompensation zu delikater Natur sei.
Dr. Stechert äussert sich:
„Alle derartigen Hülfskompensationen und verbesserten Unruhen haben, besonders wenn sie von den
mit der Einrichtung und den Eigenschaften vollkommen vertrauten Erfindern hergestellt und regulirt waren,
längere Zeit hindurch vortreffliche Gangresultate geliefert. Es lässt sich nicht leugnen, dass gerade während
des letzten Jahrzehnts sich gut ausgeführte Hülfskompensationen auch an Bord voll und ganz bewährt und
ein sehr regelmässiges Verhalten gezeigt haben. Nichtsdestoweniger ist man, besonders in der nautischen
Praxis, immer wieder zur einfachen Temperatur-Kompensation zurückgekehrt, weil jene komplizirten Mecha
nismen viel leichter Störungen und Unordnungen unterworfen sind und somit einen geringeren Grad der
Zuverlässigkeit besitzen. Ausserdem kommt für den Seemann das praktische Bedenken hinzu, dass er
Instrumente mit Hülfskompensation nicht jedem Fabrikanten, besonders im Auslande, zur Reparatur oder
Reinigung anvertrauen kann. Um ein solches Chronometer schnell und sorgfältig zu reguliren, bedarf es
in der That grosser Erfahrung auf einem Spezialgebiete, welche man bei der grossen Mannigfaltigkeit der
Anordnung der Hülfskompensation nicht bei jedem Chronometermacher voraussetzen darf. Wird also durch
irgend einen Zufall eine plötzliche Reparatur nothwendig, so kann ein Kapitän, welcher auf die Benutzung
nur eines Chronometers angewiesen ist, in grosse Verlegenheit gerathen.
Andererseits lehrt die Erfahrung, dass im allgemeinen das Chronometer mit einfacher Tempe
ratur-Kompensation Angaben von genau gleicher Zuverlässigkeit liefert, wie ein Chrono
meter mit Hülfskompensation, wenn nur der Beobachter das Instrument mit der nöthigen Sorgfalt
behandelt und die durch eine Voruntersuchung auf einem Chronometer-Observatorium erlangten Instrumental-
Konstanten, sowie die später beobachteten Gangwerthe in richtiger Weise verwerthet.“
Es muss allerdings zugegeben werden, dass es schwierig sein wird, falls die Hülfskompensation in Un
ordnung gerathen sein sollte, diese, namentlich im Auslande, zu repariren; hierzu ist jedoch zu bemerken,
dass nach diesseitigem Wissen bezw. Erfahrungen an Chronometern mit Hülfskompensationen der Kaiserlichen
Marine noch niemals eine Störung in der Hülfskompensation selber eingetreten ist, und nie Reparaturen
an dieser stattgefunden haben, während es bei Chronometern mit gewöhnlicher Kompensation vorgekommen
ist, dass sich die eine Korrektionsschraube der Unruhe gelöst hatte — M18, Eppner, 190 —.
Die Reparaturen bei Chronometern mit Hülfskompensation bezogen sich, wie schon vorher erwähnt
ist, zum grössten Theil nur auf eine Ergänzung der Spirale oder der Zugfeder, auf Poliren der Unruh
zapfen, Befestigen der Zeiger u. s. w. — Vergl. Fussnote 21.
32 ) Vergleiche „Annalen der Hydrographie“, 1883, Seite 20; aus dem „Archiv der Deutschen Seewarte“, 1894, No. 4,
Seite 23; „Untersuchungen üher Chronometer und nautische Instrumente“, Studie von E. Caspari, Marine-Ingenieur in Paris,
deutsche Uebersetzung von E. Gohlke, 1893, Seite 222; „Das Chronometer“, von Dr. C. Stechert, 1896, Seite 24.