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Ans dem Archiv der Deutschen Seewarte. — 1921, Heft 1.
Verfahren durch die Darstellung einer jeden zu der vollen mittleren Sonnenstunde beobachteten
Wasserstandshöhe durch einen von den Winkelgeschwindigkeiten der verschiedenen Tiden abhängigen
rechnerischen Ausdruck bietet jedoch die Möglichkeit, den störenden Einfluß aller übrigen Tiden
auf die zu ermittelnde Tide scharf in Rechnung zu ziehen.
b. Die Vereinfachung und Erweiterung des Börgenschen Verfahrens.
Einige Mängel, die das Börgensche Verfahren noch in seiner Durchführung und Anwendung
zeigt, hat Hessen in seiner Arbeit zu beheben versucht. Die Ableitung der harmonischen Konstanten
für die verschiedenen Tiden, mit Ausnahme der Sonnentiden, aus 24 Gruppensatzwerten, die für die
vollen mittleren Sonnenstunden des Tages gelten, gestaltet sich etwas umständlicher als nach den
früheren Verfahren, da jeder der 24 Gruppensatzwerte mit je einem von der Tagesstunde und der
Geschwindigkeit der gesuchten Tide abhängigen Kosinus und Sinus zu vervielfältigen ist. Borgen
hat daher, um die Berechnung dieser Größen auf nur 12 oder 6 zu beschränken, für die einzelnen
Klassen der Tiden, für die eintägigen und halbtägigen, vierteltägigen und sechsteltägigen Tiden 1 ),
verschiedene Zusammenfassungen vorgenommen, die die Formeln nicht nur unnötig verwickelt
werden lassen, sondern auch für jede Klasse von Tiden andere Sätze von Formeln erforderlich
machen, die die Anwendung des Verfahrens nur erschweren. Hessen hat daher in richtiger
Erkenntnis der Forderung nach Einfachheit eines guten Rechenverfahrens auf den nur scheinbaren
Gewinn an Rechenarbeit durch diese Zusammenfassungen verzichtet und die Formeln für die kurz
periodischen Tiden aller Klassen in gleicher Weise entwickelt.
Borgen hat ferner die Hilfsgrößen zur Berechnung der Wirkung der störenden Tiden auf die
abzuleitende Tide nur von einer beschränkten Anzahl von störenden Tiden ermittelt; er hat der
Berechnung dieses Einflusses überdies eine Form gegeben, die nur schwer zu übersehen gestattet,
welche von diesen Tiden bei der Ableitung der gesuchten Tide als störend zu berücksichtigen sind
und welche wegen ihres nur geringen Einflusses vernachlässigt werden können. Hessen hat das
Verfahren zur Anbringung dieses Einflusses nun so durchgebildet, daß dies sofort übersehen werden
kann; er hat außerdem nicht nur die Hilfsgrößen zur Ermittlung der Störungen aller Tiden, mit
Ausnahme der Sonnentiden, auf die abzuleitende gegeben, sondern auch gezeigt, daß ebenfalls bei
der Ermittlung der Sonnentiden und des Mittelwasserstandes teilweise nicht zu vernachlässigende
Verbesserungen wegen des störenden Einflusses der andern Tiden anzubringen sind.
Auf Vereinfachungen des Börgenschen Verfahrens, die Hessen noch bei der Ableitung der
anzuwendenden Formeln eingeführt hat, wird noch weiter unten hingewiesen werden. Hervorzuheben
ist jedoch noch, daß Hessen auch darauf eingegangen ist, wie das Verfahren zweckmäßig als
Näherungsrechnung anzuwenden ist, wenn die Ermittlung der harmonischen Konstanten für einen
Ort zum ersten Male ausgeführt werden soll, wenn also noch keine genäherten Werte der Amplituden
und Phasen der störenden Tiden vorhanden sind.
2. Mängel des Hessenschen Verfahrens.
Die vorliegende Arbeit verdankt ihre Entstehung folgendem Umstande: ebenso wie die Arbeit
Borgens eine größere Anzahl von Druckfehlern in den Formeln und Hilfsgrößen enthalten hat,
weist auch die Abhandlung Hessens Unscharfen oder Unstimmigkeiten in den Formelentwicklungen
und eine Reihe von Rechenfehlern und Druckfehlern in den Zahlenangaben auf, die bei der An
wendung des Hessenschen Verfahrens auf Beobachtungen von Bremerhaven und Hamburg teilweise
aufzudecken, ich Gelegenheit hatte. Diese Tatsache ließ mir die weitere Verwendung dieses Ver
fahrens so lange als unzweckmäßig erscheinen, bis geprüft war, ob außer den bereits aufgefundenen
Mängeln noch deren mehrere vorhanden waren, die die Ergebnisse der Rechnungen merkbar ver
fälschen konnten. Vor der Nachprüfung der der Hessenschen Abhandlung beigegebenen Rechnungs
größen hat selbstverständlich ein Durcharbeiten der Grundlagen des Börgen-Hessenschen Verfahrens
*) Dritteltägige Tiden hat Borgen nicht abgeleitet, wie Hessen in den Ann. d. Hydr. usw. 1920, 8. 1 unten, angibt.