Seilkopf, H.: Meteorologische Flugerfahrungen im nordwestlichen Deutschland. 81
Erhebungen über dem Meeresspiegel aufweisen. Aber am Gebirgsrande ergibt
der Übertritt vom Flachlande zum Berglande durch mechanische Hebung der
Stromlinien und durch den starken Wechsel in den Reibungsverhältnissen eine
stärkere Aufkomponente des Strömungsfeldes als im Berglande selbst. Für
Bewölkungs- und Niederschlagsverhältnisse am Hange der Gebirge hat außerdem
ohne Zweifel der Totluftkeil erhebliche Bedeutung, der sich zwischen den in
beträchtlicher Entfernung vor dem Hange abgehobenen Stromlinien der Luft-
bewegung, dem Hange und der Ebene einschiebt, Zuweilen besteht er aus kälteren,
dichteren Luftmassen, die beim Rückzuge von Kaltluft in Richtung Ebene-—>-Gebirge
am Gebirgshange hängengeblieben sind und von wärmeren Luftmassen überströmt
werden. Es entwickelt sich dann an der Grenze der abgeschnittenen Kaltluft und
der darüberströmenden Warmluft ein Gebiet mit niedrigen Wolken und „Aufgleit-
niederschlag“, das sich am Rande der Gebirge oft lange hält, da der Kaltluftkeil
nur sehr langsam von der darüberfließenden wärmeren Luft aufgeleckt wird.
Auch der umgekehrte Fall bedingt am Gebirgsrande Wetter verschlechterung gegen-
über dem ungestörten Stromlinienfelde: Dringen Kaltluftmassen keilförmig in
Richtung auf das Gebirge vor, so wird die zwischen ihnen und dem Gebirgshange
noch verbliebene Warmluft stärker gehoben, als wenn sie bei ungestörtem Boden-
profil vor der einbrechenden Kaltluft abfließen könnte. Im Strömungsfelde ver-
raten sich solche Lagen durch Konvergenzlinien, die vom Flachlande her gegen
den Gebirgsrand vordringen. Im Luftdruckfelde entspricht ihnen eine Isobaren-
ausbuchtung, ein Tiefausläufer. In der Praxis der Flugberatung bestehen daher
für die obengenannten Ränder der Mittelgebirge die schwierigsten Wetterlagen
stets dann, wenn eine wärmere und kältere Luftmassen trennende Konvergenz-
linie mit südlicher Bewegungsrichtung gegen den Mittelgebirgsrand vordrängt.
Die Feststellung der Reichweite des Gebirgseinflusses in die Ebene hinein
bei gebirgwärts gerichteter Strömung begegnet der Schwierigkeit, daß sowohl
dem Teutoburger Wald/Wiehengebirge als auch den Bergzügen südlich von Hannover
Moorgebiete vorgelagert sind, die bereits wetterverschlechternd wirken. So konnte
ich am 17, Mai 1926 auf einem Fluge von Hannover nach Hamburg unter Herrn
Böhners Führung bei nördlicher Luftströmung über dem Moor- und Waldstreifen
nördlich von Hannover bis zur Aller hin anhaltenden feinen Regen, sehr schlechte
Sicht und die untere Wolkengrenze von 70 m Höhe bis — in einzelnen Fracto-
Nimbus-Fetzen — dicht an die Baumkronen heran beobachten, während nördlich
der Aller der Regen aufhörte, die Sicht rasch auf mehr als 20 km wuchs und
die Wolkendecke sich schnell hob. Der Einfluß der Gebirge im Süden und des
Moor- und Waldgeländes überlagerten sich.
Geht die Luftsträmung umgekehrt vom Gebirge zur Ebene, so wird neben
dem bekannten, durch adiabatische Erwärmung der absinkenden Luftmassen ent-
stehenden Aufklaren bis weit in die Ebene hinein Böigkeit für den Luftverkehr
bemerkenswert, Am Hindernisäquator lösen sich Leewirbel ab, die sich weit in
Lee fortpflanzen!), An der Flugstrecke Hannover—Leipzig haben sich bei starken
südwestlichen Oberwinden die Wirbel in Lee des Harzes gelegentlich so störend
bemerkbar gemacht, daß einzelne Führer dann in größerem Abstande vom Ge-
birgsrand geflogen sind. In Lee des rund 400 m hohen Deistergebirges sind bei
südwestlichen, senkrecht zum Kamm wehenden Winden von etwa 10 m/sec. die
Leewirbel etwa 20 km weit in der Ebene beim Fliegen mit normalen Verkehrs-
flugzeugen zu spüren,
5. Höhere Erhebungen der Mittelgebirge.
Daß die höheren Erhebungen der Mittelgebirge häufig in Wolkendecken ein-
tauchen oder in Wolken gehüllt sind, die sich an ihnen bilden, und daß an ihren
Flanken Niederschlagshäufigkeit und Niederschlagsmenge relativ groß sind, ist
bekannt. Die Luftwege suchen daher diese Gebiete zu meiden. Im betrachteten
Teile Deutschlands sind es der Harz und das Sauerland mit dem Kahlen Asten-
Massiv. an denen von Hannover aus Flugstrecken nach Leipzig und Frankfurt a. M.
') H. Koschmieder, Zur Kenntnis des Stromlinienfeldes in Lee, Zeitschr, f. Flugtechnik u.
Motorluftschiffahrt 1925, S. 240.
Köppen-Heft ad, Anna, d. Avdr. usw, 1936,