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Wolff Heintschel von Heinegg
sagt" sind. 171 Das bedeutet indes nicht, daß die Konfliktparteien die Rechte des
Küstenstaates schlichtweg ignorieren dürften. In Ermangelung eines neutralitäts
rechtlichen Verbots besteht zwar eine Duldungspflicht der neutralen Küstenstaa
ten, diese darf aber im Regelfall nicht zu einem vollständigen Ausschluß der wirt
schaftlichen und sonstigen Rechte des Küstenstaates in seiner EEZ führen. Viel
mehr müssen ihm diese Rechte angesichts des Charakters des Neutralitätsrechts
als modifiziertes Friedensrecht so weit wie möglich erhalten bleiben. 172 Demgemäß
sind die Konfliktparteien verpflichtet, vor und bei der Durchführung von See
kriegsmaßnahmen in der EEZ eines neutralen Staates die Rechte des Küsten-
bzw. Archipelstaates gebührend zu berücksichtigen. 173 Künstliche Inseln, Anlagen
und Bauwerke, die der Küstenstaat in seiner EEZ zum Zwecke der Erforschung,
Ausbeutung, Erhaltung und Bewirtschaftung der lebenden und nichtlebenden
Ressourcen errichtet hat, sind daher ebenso zu achten wie die in Übereinstim
mung mit Art. 60 Abs. 4 und 5 SRÜ 1982 eingerichteten Sicherheitszonen. Angrif
fe auf militärische Ziele sind so zu planen und durchzuführen, daß Beschädigun
gen der künstlichen Inseln, Anlagen und Bauwerke vermieden werden. Insbeson
dere ist, wenn eine Wahl zwischen mehreren militärischen Zielen möglich ist, um
einen vergleichbaren militärischen Vorteil zu erringen, dasjenige Ziel zu wählen,
dessen Bekämpfung diese Objekte voraussichtlich am wenigsten gefährden
wird. 174 Seekriegsmaßnahmen innerhalb der Sicherheitszonen um die Objekte
171 So auch der Ausschuß der ILA für "Maritime Neutralität": "The conduct of hostilities in the
exclusive economic zone (...) of neutral states is not illegal as such." Vgl. ferner H. Hofs, Sind
Kampfhandlungen in der ausschließlichen Wirtschaftszone eines neutralen Staates völker
rechtlich mit der Neutralität des Staates vereinbar? Wie haben sich deutsche Kriegsschiffe in
der schwedischen Wirtschaftszone zu verhalten?, Führungsakademie der Bundeswehr, Ham
burg 1987.
172 Diesen Aspekt übersieht insbesondere E. Rauch (Protocol Additional [Fn. 13], S. 33 ff.), der ja
an anderer Stelle (J. Hinz/E. Rauch [Fn. 8], Zf. 1537, Anm. 1) bemerkt: "Wichtig erscheint in
diesem Zusammenhang, daß dogmatisch gesehen das Neutralitätsrecht kein Kriegsrecht ist,
sondern ein durch die Einwirkung des zwischen anderen Völkerrechtssubjekten geführten
Krieges modifiziertes Friedensrecht. Durch einen bewaffneten Konflikt zur See wird also die
Rechtsgeltung einer künftigen Konvention im Verhältnis zwischen neutralen Staaten einer
seits und Konfliktparteien andererseits nicht berührt."
173 So ausdrücklich ZDv 15/2, Nr. 1012. In einer Anmerkung zu para. 703 Abs. 1 des Canadian
Draft Manual heißt es: "Operations in the EEZ of neutral coastal states must be conducted
with due regard for the rights of the coastal states." Ebenso der Ausschuß der ILA für
"Maritime Neutralität": "The parties to the conflict must, however, take the necessary precau
tions not to restrict the neutral states' use of the resources of these zones. In particular, they
must take all necessary precautions not to cause damage to these resources." Ferner A.V. Lo
we, The Impact of the Law of the Sea on Naval Warfare, Syracuse J.Int'l.L.&Com. 14 (1988),
657-675, 673; E. Beckert/G. Breuer (Fn. 13), Rdn. 950; M. Dormer, Neutrale Handelsschiffahrt
(Fn. 8), S. 146.
174 Diese Rechtspflicht, die in bezug auf Zivilpersonen und zivile Objekte nunmehr in Art. 57 Abs.
3 ZP I kodifiziert ist, folgt zwingend aus dem auch im Seekrieg gewohnheitsrechtlich geltenden
Unterscheidungsgrundsatz und dem grundsätzlichen Schutz der genannten Objekte.