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Strafverfolgung im nationalen und internationalen Rahmen
(1) Gewässerverunreinigungen sind nur strafbar, wenn sie unbefugt erfolgen. Das Internationale Abkommen
zur Verhütung von Meeresverschmutzungen durch Schiffe (MARPOL) erlaubt jedoch in sehr engen
Grenzen die Einleitung von Öl (Anhang I, Regeln 15 ff) oder anderen schädlichen flüssigen Stoffen
(Anhang II; Regel 13). Bei der Einleitung schädlicher flüssiger Stoffe gemäß Anlage II lässt sich in
manchen Fällen erst nach längeren Ermittlungen - insbesondere nach sicherer Bestimmung der
schädlichen Substanzen - klären, dass der Verursacher nicht Illegal einleitete, sondern dazu rechtlich
befugt war. 12
(2) Nicht jede Gewässerverunreinigung Ist das Ergebnis vorsätzlichen oder fahrlässigen Verhaltens. Es
gibt - wenn auch seltene - Fälle, in denen zwar der Verursacher der Verunreinigung eindeutig ermittelt,
jedoch nicht widerlegt werden kann, dass ein nicht vorhersehbarer technischer Defekt - beispielsweise
an der Entöleranlage - zur Verunreinigung führte.
(3) Die Strafverfolgung In Schifffahrtssachen einschließlich der justiziellen Aufarbeitung Ist regelmäßig nur
In Internationaler Zusammenarbeit möglich. 13 Dass ein unter deutscher Flagge fahrendes Seeschiff im
deutschen Küstenmeer eine Gewässerverunreinigung begeht und danach einen deutschen Hafen an
läuft und auch die beschuldigten Seeleute sowie der Schiffseigner deutsch sind, kommt faktisch nicht
vor. Zu beachten ist weiterhin der Zeltfaktor, wenn der von der Verunreinigung betroffene Küstenstaat
und der vom verdächtigen Schiff nach der Tat angelaufene Hafenstaat sowie der Flaggenstaat unter
schiedlich sind. Die an Bord unverzichtbaren Ermittlungen, insbesondere das Ziehen von Referenz
proben im Maschinenraum, der nachfolgende sachverständige Vergleich mit der Schmutzwasserprobe
sowie die Vernehmungen der Crewmitglleder, müssen stets unter erheblichem Zeltdruck erfolgen, da
die Liegezeiten in den Häfen kurz und die rechtlichen Voraussetzungen für ein Festhalten von Schiff
und Besatzung gemäß Art. 218, 220 des Seerechtsübereinkommens (SRÜ) hoch sind. So kann es leicht
geschehen, dass z. B. das Ergebnis der Probenanalyse, das den sicheren Nachweis der Einleitung
durch das verdächtigte Schiff erbracht hat, erst vorliegt, wenn sich dieses schon auf neuer Fahrt in
wiederum anderen nationalen Gewässern befindet.
Das aufgezeigte grundsätzliche Problem ist bei Schaffung internationaler Abkommen, insbesondere
des SRÜ, durchaus gesehen worden. Die Lösung, die hier den Flaggenstaat In der Pflicht sieht (vgl.
Art. 217 SRÜ), Ist theoretisch auch ausgezeichnet, nur führt sie In der Praxis immer wieder dazu, dass
Verfahren nicht zügig fortgeführt werden und Sanktionen eben nicht erfolgen. 14 So mag also der betrof
fene Küstenstaat die Tat aufgeklärt, das Verfahren dann an den Flaggenstaat abgegeben haben, eine
justizielle Sanktion im Ergebnis aber dennoch ausblelben. Klarstellend muss jedoch darauf hinge
wiesen werden, dass der z.T. mangelnde Norm- und Sanktionsvollzug nicht die Anrainerstaaten von
12 Von besonderer Bedeutung waren noch bis vor wenigen Jahren die sog. „en route - Fälle", hinsichtlich deren rechtlicher Beurteilung
- selbst unter den Nord- und Ostseeanrainerstaaten - unterschiedliche Auffassungen bestanden. Nach deutscher Auffassung war
ein befugtes Einleiten nach der damaligen Fassung der Regel 5 nur dann anzuneh-men, wenn sich ein Schiff auf der Fahrt von
einem Hafen zu einem anderen befand (vgl. insoweit auch Landgericht Hamburg, Urteil vom 09.01.2002 - 713 Ns 19/01 -).
Insbesondere nach niederländischer und britischer Auffassung fielen jedoch auch reine Verklappungsfahrten unter die Voraus
setzung „en route". In der Nachfolgebestimmung Regel 13 wird nur noch gefordert, dass das Schiff „in Fahrt“ ist.
13 Man wird dies grundsätzlich bei der Befassung mit Schifffahrtssachen feststellen - nicht anders ergeht es den Ermittlern gegen
wärtig bei der Aufklärung von Pirateriedelikten auf See, vgl. u. a. Brandt bei Neumann: Tagungsbericht „Piraterie - Geißel der
Menschheit", Hamburg, 2009: http://www.iflos.org/media/40689/tagungsbericht.pdf
14 Vgl. dazu Brandt (Fn. 6), S. 269 f