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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte und des Marineobservatoriums, 61. Band, Nr. i
ZUSAMMENFASSUNG.
In den Wasserstandsrcgistricrungen der sehr günstig über die ganze Ostseeküstc verteilten Pegelstationen
lassen sich deutlich Eigenschwingungen der Ostsee nachweisen. Am häufigsten wird die einknotige Schwingung
des Systems Ostsee — Finnischer Meerbusen beobachtet, die zeitweise mit sehr großen Amplituden auftritt und
im Finnischen Meerbusen zu Wasserstandsschwankungen bis über 1 m Veranlassung gibt. Die Periode dieser
Schwingung beträgt nach den Beobachtungen im Mittel 27,6 Stunden; die Knotenlinie Hegt etwa auf der
Verbindungslinie Libau — Landsort. Im westlichen Teil des Schwingungsbeckens erreichen die Amplituden
ein Maximum bei der Darsser Schwelle (Gjedser Rev), in der Beltsee sind sie meistens kleiner oder höchstens
ebenso groß wie bei Gjedser Rev. Es wird in keinem Fall die Amplitudenzunahme nach Westen beobachtet, die
beim freien Durchschwingen der Wassermasse theoretisch gefordert werden muß, woraus zu schließen ist, daß
die freie Schwingung der Ostseewassermasse bei der ersten Abriegelung des Schwingungsbeckens, d. i. bei der
Darsser Schwelle, stark gestört wird.
Die zweiknotige Eigenschwingung im System Ostsee —• Finnischer Meerbusen ist nur selten zu beobachten.
Die Schwingungsreihen sind weniger persistent als die der einknotigen Schwingung und brechen in den
meisten Fällen schon nach ein bis zwei Schwingungen ab. Die Schwingungsdauer beträgt 18 bis 20 Stunden,
und die Knotenlinien liegen etwa auf der Verbindungslinie Stolpmünde — ölandsrev und in der Mündung
des Finnischen Meerbusens zwischen Tallinn und Hangö.
Das Schwingungsbecken Ostsee — Bottnischer Meerbusen — Finnischer Meerbusen hat nach den Beob
achtungen eine Grundschwingung mit einer Periode von etwa 40 Stunden, und die Knotenlinie liegt etwas
südlich der Aalandsinseln. Der Finnische Meerbusen ist an der Schwingung nicht oder nur sehr wenig beteiligt.
Wegen der starken Einengung des Schwingungsbeckens bei den Aalandsinseln und der unsymmetrischen Lage
zum Knoten ist die Schwingungsfähigkeit der Wassermasse in diesem Becken sehr behindert, und die Schwin
gung scheint wenig stabil zu sein.
Als Ursachen der kräftigen Eigenschwingungen des Ostseebeckens kommen sowohl Luftdruckschwankungen
als auch die denivellierende Windwirkung in Betracht. Große Schwingungsamplituden treten auf, wenn beide
Ursachen Zusammenwirken, wofür Beispiele angegeben werden konnten. Einzelne Luftdruckschwankungen,
die bei kleineren Seen schon kräftige Seiches auszulösen vermögen, scheinen in der Ostsee keine große Be
deutung zu haben, es sei denn, daß sie auf eine bereits vorhandene Schwingung günstig einwirken und die
Schwingungsamplitude erneut verstärken. Daß aber periodisch wirkende Luftdruckschwankungen, wenn sie
mit der Frequenz der Eigenschwingung auftreten, imstande sind, die Amplitude der Ostseeseiches bis zu
mehreren Dezimetern (bis j> 0,5 m) aufzuschaukeln, konnte an Beispielen deutlich gemacht werden. In
einem Fall konnte der Vorgang des „Aufschaukelns“ und das darauffolgende freie Ausschwingen der Wasser
nüsse nach dem plötzlichen Aussetzen der Störungskraft besonders gut beobachtet werden; ein Beispiel, wie
es uns die Natur nur selten bietet.
Zur theoretischen Berechnung der Perioden und der Hubhöhenverteilung wurde die D e f a n t sehe Rest
methode angewandt. Um eine ausreichend genaue Erfassung der orographischen Beschaffenheit des Seebeckens
sicher zu stellen, wurde das Schwingungsbecken Ostsee — Finnischer Meerbusen durch 58 (57) Querschnitte mit
einem mittleren Abstand von etwa 15 sm senkrecht zum Talweg aufgeteilt. Die Zahl der Querschnitte im
System Ostsee — Bottnischer Meerbusen beträgt 63 (67). Da die Abriegelung der Ostsee im Westen mor
phologisch nicht eindeutig bestimmt ist, wurden die Perioden und die Hubhöhen für verschiedene Begren
zungen des Beckens in der Beltsee ermittelt. Die beste Übereinstimmung zwischen den beobachteten und den
theoretisch berechneten Perioden erhält man bei Annahme einer Begrenzung des Ostsccbeckens im Fehmarn
Belt, doch weichen dann die in der Mecklenburger Bucht beobachteten Amplituden wesentlich von den theo
retisch berechneten ab. Es scheint, daß die Einengung bei der Darsser Schwelle ausreicht, um eine direkte
(dynamische) Beteiligung der Mecklenburger und Kieler Bucht am Schwingungsvorgang der Ostsee zu verhindern.
Gestützt auf die beobachtete Amplitudengröße westlich der Darsser Schwelle, ließ sich die wahrscheinlichste
Periode der ein- und zweiknotigen freien Schwingung des Systems Ostsee — Finnischer Meerbusen zwischen
zwei Grenzen einschließen. Ein direkter Abschluß des Schwingungsbeckens bei der Darsser Schwelle kann
ebenso wie ein freies Durchschwingen bis zur Kieler Bucht nicht angenommen werden. Vielleicht handelt