Gerhard Neumann: Eigenschwingungen der Ostsee
27
selnder Richtung. Im Finnischen Meerbusen und in der nördlichen Ostsee werden nördliche bis westliche
Winde beobachtet (Stärke 2—4). Vom 11. bis 12. Dezember vollzieht sich in der Luftdruckvertei
lung eine wesentliche Umgruppierung: Das finnische Tief ist gewichen und das Hoch vom Nordatlantischen
Ozean hat sich nach SO verlagert. Vom 12. bis 14. Dezember steht nun der ganze Ostseerapm unter dem
Einfluß dieses hohen Druckes, und es herrscht beständiges Wetter mit schwacher Luftbewegung.
Die starken Luftdruckstörungen in der nördlichen Ostsee und im Finnischen Meerbusen beim Durchgang
des finnischen Tiefs lösen in der Ostsee Eigenschwingungen aus. In Abb. 17 ist der Gang des Luftdrucks für
Helsinki und Mariehamn (Aalandsinseln) für die Zeit vom 10. Dezember 0 Uhr bis 15. Dezember 10 Uhr mit
der Wasserstandskurve von Koivisto dargestellt. Am 10. Dezember fällt über dem Finnischen Meerbusen der
Luftdruck bis etwa 18 Uhr und verursacht eine schwache Hebung des Wasserspiegels. Nach 20 Uhr fällt der
Wasserstand im Finnischen Meerbusen wieder und durch den inzwischen erneut ansteigenden Luftdruck wird
Abb. 17: Luftdruck p in Helsinki und Maric-
hamn (Maßstab auf der Ordinate: 1 cm =
10 mm Luftdruck) und Wasserstand h in
Koivisto (Höhenmaßstab 1 :20) für die Zeit
vom 10. Dezember 1932 0 Uhr bis 15. De
zember 1932 10 Uhr.
Schwingung des Ostseebeckens sprechen darf,
zu beobachten sein.
dieses Fallen noch verstärkt. Der Wasserstand er
reicht bei seinem Minimum am 11. einen noch tieferen
Stand als am Tage davor. In der Ostsee sind bereits
Schwingungen erregt, die durch die nachfolgenden
Luftdruckschwankungen weiter aufgeschaukelt wer
den, und denen ein letzter und kräftigster Impuls
durch den starken Luftdruckanstieg vom 11. De
zember 19 Uhr bis 12. Dezember 13 Uhr um 16 mm
erteilt wird. Nach diesem Impuls bleibt der Luft
druck über dem Finnischen Meerbusen bis zum
14. Dezember ziemlich konstant. Die Wassermassc
der Ostsee ist durch die Luftdruckschwankungen in
kurzer Zeit zu Schwingungen mit einer Doppel
amplitude von 105 cm am östlichsten Ende des Fin
nischen Meerbusens aufgeschaukelt-worden und kann
nun, nach dem Aussetzen der erregenden Kraft, un
gestört in freie Schwingungen abklingen.
In sehr seichten Seen findet man regelmäßig ab
klingende Schwingungen nur selten; im allgemeinen
wirken dort neue Störungskräfte, besonders der
Wind, sehr stark auf die dünne Wasserschicht ein. In
obigem Fall erfolgt aber das Ausschwingen der Ost
see bei der ruhigen Wetterlage und dem konstanten
hohen Luftdruck so ungestört, daß man wohl mit
Recht von einer reinen, gedämpften einknotigen
dieser Art werden in der Natur sicher nicht häufig
III. THEORETISCHE ERMITTLUNG DER PERIODEN UND DER HUBHÖHENVERTEILUNG.
Von einer ausführlichen Darstellung der Theorie freier Schwingungen in Seen kann an dieser Stelle ab
gesehen werden. Man findet eine zusammenfassende Übersicht über die bekanntesten Seichestheorien und ein
reichhaltiges Literaturverzeichnis bei Thorade (36). Im Hinblick auf das von uns später anzuwendende,
auf der Ritz sehen Methode (30) der Variationsrechnung basierende Verfahren bei der Lösung der
C h r y s t a 1 sehen Differentialgleichung, scheint es jedoch nötig, kurz die Grundlagen der Theorie zu streifen.
Gegeben sei ein längliches Becken von veränderlicher Breite und Tiefe. Das Koordinatensystem sei so
gelegt, daß die x-Achse in der ungestörten Oberfläche des Sees liegt und die Richtung des Talweges angibt.
Die y-Achse stehe senkrecht dazu, ebenfalls in der ungestörten Oberfläche, und die z-Achse vertikal nach oben.
Vernachlässigt wird die ablenkende Kraft der Erdrotation, und es wird weiter vorausgesetzt, daß keine zum
Talweg senkrechte Komponente der Horizontalbewegung auftritt, so daß die Bewegung der Wassermasse