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Ans dem Archiv der Deutschen Seewarte und des Marineobservatoriums. •— 60. Band. Nr. 6/7.
Wollte man, wie das dem Meteorologen zunächst sicher naheliegen wird, als Kaltluft
einbruch jeden Vorstoß einer Luftmasse bezeichnen, der eine Temperaturerniedrigung ge
genüber der vorher am gleichen Ort lagernden bewirkt (also ohne Rücksicht auf die absoluten
Werte), dann müßte man übereinstimmend mit meteorologischer Zielsetzung (vgl. z. B.
Schinze, 1932) in gleicher Weise sommerliche wie winterliche Vorstöße jeweils kälterer Luft
berücksichtigen. Dies würde einer prinzipiellen Untersuchung über ein derartiges Phänomen
gleichkommen, bei der die Rolle der Jahreszeiten und die des Raumes erst in zweiter Linie zur
Geltung kommen kann. Auch die von T. Bergeron (1930) vertretene Auffassung, wonach
„warm“ bzw. „kalt" relativ zur Unterlage gemeint ist (und nicht relativ zum Nachbarluftkörper
wie bei Schinze [vgl. Willett, 1953, S. 6)), zielt natürlich ebenfalls nur auf rein meteoro
logisch wichtige Vorgänge hin, die für den Geographen nur mittelbar wichtig sind: z. B. warme
Luft, über kalter Unterlage-Stabilisierung usw. Hier dagegen ist von dem Winter
ausgegangen; der ganz fundamentale und in Natur und Menschenleben
mannigfach fühlbare Grundzug dieser Jahreszeit besteht nun einmal für
das außermediterraneEuropa, und was die höheren Lagen betrifft, auch für das medi
terrane, in dem Auftreten an Temperaturen unter 0 0 gebundener Erschei
nungen, sei es als Lufttemperatur selbst (cl. h. Frost der verschiedensten Herkunft) oder
Niederschlag in fester Form oder Eisbildung an der Erdoberfläche. Es soll damit nun keines
wegs gesagt sein, daß diese Erscheinungen ausschließlich den Ablauf des Winters bestimmen,
wohl aber, daß sie den Winter kennzeichnen 11 ).
Außer diesen geographischen und rein praktischen Gesichtpunkten vermögen wir auch meteorologische für diese
Beschränkung ins Feld zu führen. Eine gewisse Bestätigung gibt uns nämlicli die durch Schmaufi’ Singularitäten
forschung erhellte Tatsache (1938 [cl) einer winterlichen Zirkulationsperiode vom 29. September (Beendigung des Alt
weibersommers) bis zum 6. Juni (Scbafkälte, „Sommermonsun“). Diese Periode reicht nun genau vom ersten bis
letzten mittleren Auftreten von KEn in der hier gegebenen temperaturmäßigen Einengung 15 ). Ob ein kausaler Zu
sammenhang für diese offenbare Kongruenz besteht, vermag ich hier nicht zu entscheiden. Die Tatsache dieser Deckung
eines klimatologisch-geographischen und eines meteorologischen Winterbegriffs sei eben nur beiläufig angeführt. Wir
werden im Abschnitt C9 auf diese Frage in anderem Zusammenhang noch einmal zurückkommen.
Die 0°-Grenze bedeutet jedenfalls eineso einschneidende, Land
schaft und Wirtschaft rhythmisch beeinflussende Scheidelinie bei der
Betrachtung des Klimas — ganz g 1 e i ch, ob man dabei statisch oder dyna
misch vorgeht —, daß sie als die natürlichste Abgrenzung gelten muß,
wenn man von winterlichen Vorgängen spricht. Winterliche K a 111 u f t e i nb r ü c h e sind
also stets Transporte von Lu ft müssen, die wenigstens teilweise über
Europa Tage mit Minimaltemperaturen in Gefrierpunktsnähe und dar
unter, kurz: Frosttage, bringen.
Wir erwähnten bereits, daß die Nullgradisotherme auf den Wetterkarten wegen der Un
zweckmäßigkeit des Beobachtungsnetzes keine absolute Trennungslinie bilden kann: sie kann
es noch aus einem anderen Grunde nicht. Ein KE kann rundlich noch höhere Temperaturen auf
weisen, ja, dies gehört oft zu seinem Charakter. Am ausgeprägtesten ist es bei mehrfach ge
staffelten KE zu finden. Wir müssen also einem KE dann auch Luftmassen höherer Bodentempe-
ratur zurechnen, wenn dieselben ohne Windsprung bzw. erkennbare Konvergenz innerhalb der
gleichen einheitlichen Strömung liegen, die ihrerseits gegenüber anderen Luftmassen durch
eine meist deutlich erkennbare Konvergenzfront, Windsprung, Niederschlagsfront usw. ab
gesetzt ist. Der Meteorologe wird eine solche Abgrenzung nicht als ganz stichhaltig be
zeichnen, da ihm durch Verwendung des Begriffs der Äquivalenttemperatur eine Handhabe
geboten ist, eine einheitliche Luftmasse auch nach ihrer eventuell eingetretenen Erwärmung
15 ) An unvermuteter Stelle hat v. Sch u Bert (1927, S. 126, Fig. 7/8) einen K E beschrieben, den er ebenfalls
mit der 0°-lsotherme begrenzt. Allerdings sind in seinem Beispiel sicherlich mehrere KE-Typen nach unserer Gliede
rung enthalten, und der Fall ist auch nur gewählt, um den Zusammenhang hoher und niederer Luftdruckschwankungen
zu demonstrieren.
12 ) Diese Periode deckt sich für Nordeuropa, wo wir ja auch die ersten und letzten Kaltluftvorstöfie beobachten,
mit dem frühesten und spätesten Auftreten von Frosttagen (15. September bzw. 5. Juni) in Helsinki (nach Keriinen,
1928, S. 34).