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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte und des Marineobservatoriums. — 60. Band. Nr. 6/7.
wiesen 3 ), und wir können hier zur Unterstreichung des oben Gesagten folgendes aus einem
meteorobiologischen Werk der jüngsten Zeit von Missenard (1938) zitieren (S. 115): ..Der
Wind ist ein bestimmender Faktor des Klimas. Besonders in den gemäßigten Zonen ist jeder
Windwechsel von einem mehr oder weniger spürbaren Witterungsumschlag begleitet Im all
gemeinen trägt er das Klima der Gegenden, aus denen er kommt, mit sich. Sein Einfluß auf den
Menschen wird also um so ausgeprägter sein, je verschiedenartiger die Klimate der weiteren
Umgebung sind. In arktiseben Regionen, wo sieb die Klimate sehr ähnlich sind, spielt der
Wind nur eine untergeordnete Rolle. In den gemäßigten Zonen dagegen, vor allem in West
europa und in Nordamerika, ist er ein klimatologischer Faktor ersten Ranges, da diese Gegen
den zwischen Territorien der entgegengesetztesten Klimate liegen."
Die Hervorkehrung des Windes als eines sehr wesentlichen Merkmales bei der Charakteri
sierung von Luftströmungen ist also für die Anfänge unserer Arbeitsrichtung bezeichnend, und
sie gilt noch uneingeschränkt. Mit der erforderlichen Wachsamkeit gegenüber Ausnahmen ist
die Sonderstellung des Windes bei der Herausstellung eines Kaltluftvorstoßes im Gesamtluft
raum auch in der vorliegenden Arbeit betont worden. Aber damit begeben wir uns bereits in
die Besprechung der eigenen Methode, welche wir am Schluß dieses Abschnittes auseinander
setzen werden; zuvor sind noch andere Etappen der methodischen Entwicklung zu überschauen.
Erst ganz allmählich bürgerte sich in die meteorologischen und klimatologischen Lehr
bücher der Vorkriegszeit eine gesonderte Behandlung cler Kaltlufteinbrüche ein, anfangs
vor allem in Form einer Besprechung besonderer lokaler Winde kalten Charakters, wie z. B.
cler Bora, des Mistral, cler Purga, des Buran. Blizzard, der Northers usw. Schließlich finden sich
in den Nachkriegslehrbüchern von Hann-Sbring (1926, 1937) und Georgii (1928), um nur
einige herauszugreifen, erstmalig ausführlichere Angaben über clas Wesentliche eines Kaltluft
einbruches als wohlabgeschlossenes Ganzes im Strömungsbild über der Erdoberfläche. Den Haupt
anstoß dazu gab eine bereits (1910 [b]) erschienene Arbeit H. v. Fickers über die Kältewellen
in Rußland und Asien, der sich später eine Arbeit über die Kältewellen des Kaspigebietes von
Göll es") anschloß. Die Notwendigkeit, hierbei ein ausgedehntes Beobachtungsnetz durchzu
arbeiten, zwang zur Beschränkung auf Beispiele; dies ist eine prinzipielle Schwierigkeit, auf
die wir bei Besprechung cler eigenen Methode noch zurückkommen müssen. — Einige wirt
schaftlich besonders bedeutungsvolle Kaltluftsingularitäten, wie z. B. clie Eisheiligen, haben
seit Do.ve immer wieder eine Behandlung erfahren, wobei allerdings weniger clie Herkunft
als vielmehr die mehr oder weniger sichere Festlegung auf ein bestimmtes Monatsdatum im
Vordergrund des Interesses stand.
Einen tiefreichenden Einschnitt bewirkte nun die Veröffentlichung der Erkenntnisse der
Bergener Meteorologen sch ule (B jerkn es, Bergeron u. a.), eine durchgreifende
Befruchtung, die nicht allein clie Meteorologie betraf, sondern sich auch auf clie geographische
Klimatologie auswirkte (Flohn, 1936, 1939). Der Begriff der Luftmasse erhielt mathematisch
physikalische Fundierung durch die clreidimensional-verknüpfende Analyse (Bergeron, 1930 |aj
|b]), der Einfluß der geographischen Umwelt auf die Luftmassen, ihre Veränderung in Raum und
Zeit wurden stärker berücksichtigt (S cli repf er, 1924). Die Anregungen, welche clie dynamische
Betrachtungsweise mit sich brachte, sind so weitausgreifend, daß wir uns auch heute noch in
mitten des methodischen Umbruches in cler Klimatologie befinden. ..Wenn nicht alles täuscht,
ist gegenwärtig eine neue Aera cler Klimakunde im Anmarsch, clie vor allem clie Aufgabe zu
lösen haben wird, die atmophv sikalischen und -dynamisdien Errungenschaften der Meteorologie
während cler beiden letzten Jahrzehnte k 1 i m a t o I o g i s c h zu verwerten. Diese neue Aera.
cler die Kenntnis des mittleren „Sei n s " nicht mehr genügt, muß auch für manche Elemente
unmittelbare zahlenmäßige Maßstäbe erst schaffen, um clas dynamische, das „Werden“
3 ) Und zwar als erster in synoptischem Sinne, indem er den zyklonalen oder antizyklonaien Charakter der SO-
Winde in Petersburg untersuchte.
*) Ferner ist zu nennen die Arbeit von Haude (1951) über die Kältewellen Hochasiens, die sich, auf den Be
obachtungen der Sven Hedinsdicn Stationen fußend, eng an Fickers bekannte Methode anschließt, sodann die
Behandlung der ostasiatisehen Kälteeinbriiche durch L i (1955) im Sinne v. Fickers sowie die Arbeiten von
Schostako witsch in Ostsibirien.