Joachim Biü tilgen: Geographie der winterlichen Kaltlufteinbriiche in Europa.
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und das „Schwanken" des Seins, meteorologisch sowohl wie geographisch bewerten zu
können..Diese Bemerkungen. die G. Castens seinen Untersuchungen zur Wetterhaftigkeit
voranschickt (1935, S. 47/48). kennzeichnen gleichzeitig die Stellung der vorliegenden Arbeit
im methodischen Gebäude. Es ist also nicht allein die Errungenschaft dreidimensionaler Betrach
tung, d. h. die Verwendung des Begriffes „Luftkörper", welche die heutige Forschungsrichtung
gegen die frühere abhebt, sondern die Betonung des Vorganges gegenüber dem bloßen Zu
stand und seine Verwendung innerhalb geographisch-länderkundlicher Arbeit. Diesen wichtigen
Unterschied zwischen zuständlicher. also querschnittsmäßiger, und dynamischer Betrachtung
hat u. a. R. Geiger (1932, S. 559) treffend gekennzeidinet, wenn auch mit anderem Ziele vor
Augen, wenn er schreibt: „Entweder wir betrachten eine individuelle Luftmasse, bewegen uns
gleichsam mit ihr fort und sehen, was aus ihr wird, oder bleiben fest am Ort, an dem längere
Zeit hintereinander der gleiche Luftkörper beobachtet wird, und betrachten, wie die Entwick
lung am festen Orte vor sich geht." In der vorliegenden Arbeit werden wir bald die eine, bald
die andere Stellung wählen; wir bleiben querschnittsbetrachtend, wenn wir die Ivaltluftein-
briiche eines bestimmten Teilraumes nacheinander vorüberziehen lassen, wenn wir also diesen
Teilraum hinsichtlich seines Kaltluftklimas im Auge behalten: — wir gehen jedoch dynamisch
vor, sofern wir das Schicksal eines bestimmten Kaltlufteinbruchstyps verfolgen, ohne Rücksicht
auf die Lokalität. Die räumliche Synthese wird sich auf beide aufbauen müssen.
Von den Arbeiten der neueren klimatologischen Forschungsrichtung, die auf den Ergeb
nissen der Bergener Schule weiterbaut, ist für uns vor allen Dingen die praktische
Wetter analyse von G. S c h i n z e (1932 [a]) von grundlegender Bedeutung. Wir müssen uns
mit dieser Arbeit ausführlicher befassen, insofern sie mit luftkörperklimatologischen Methoden
der Frage der Kaltluftströmungen nachgeht. Sch. geht von dem Einteilungsprinzip der Ber
gener Schule aus und unterscheidet danach vier Hauptluftmassen, von denen uns nur die
arktische (= frische Polar-) Luft und die subpolare Luft interessieren. Neben dieser groß
zügigen, auf der Breitenlage des Ursprungsgebietes ber uhenden Einteilung ist noch eine weitere
Kennzeichnung erforderlich, die zwischen warm und kalt sowie zwischen maritim und kon
tinental unterscheidet. Die Breitenlage selbst ist für unsere Zwecke, wie wir sehen werden,
weniger belangvoll, vielmehr sind es die Einflüsse der Erdoberfläche, die im Rahmen der Brei
tenlage die Bedeutung einer Luftmasse für die Kaltluftvorstöße bestimmen. Auch die für den
Meteorologen wuchtige Unterscheidung zwischen relativ warm uncl relativ kalt konnte für uns
aus später noch zu erörternden Gründen nicht in dieser gleitenden Form Anwendung finden,
vielmehr wurde durch Wahl des Nullgradwertes eine absolute Umgrenzung einer Kaltluft
masse vorgezogen. Dies ist eine der wichtigsten methodischen Abweichungen gegenüber rein
meteorologischer Zielsetzung. Es ist klar, daß der Meteorologe die relativen thermischen Be
griffe verwenden muß, weil sie für die Physik der Atmosphäre allein ausschlaggebend sind:
hierbei ist es dann also eine rein meteorologische Streitfrage sekundärer Natur, wenn die Re
lativbegriffe „warm“ und „kalt" auf die Nachbarluftmasse oder auf die Unterlage (Bergeron)
bezogen werden. Es muß hier ganz scharf betont werden, von welcher grundsätzlichen me
thodischen Bedeutung diese, clem Meteorologen vielleidit willkiirlidi scheinende thermische
Kaltluftbegrenzung ist. Es muß dies ferner deshalb hier schon hervorgekehrt werden, um Miß
verständnisse zu vermeiden, wenn wir im folgenden weiter auf die luftkörperklimatologischen
Ergebnisse Sehinzes eingehen, welche audi für unsere Arbeit — wie gesagt cum grano
salis — den Rahmen abgeben.
Von Sehinzes troposphärischen Luftmassen über Mitteleuropa kommen für Kaltluftvorstöße die folgenden
in Betracht:
1. maritim-arktische Kaltluft, Ursprungsgebiet: Grönland und Spitzbergen, Auftreten ganzjährig außer Juli-
August. (Den Vermerk „Auftreten ganzjährig 1 ' verstehen wir wiederum hier lediglich aus der Verwendung der
relativen thermischen Begriffe heraus!)
2. Kontinental-arktische Kaltluft, Herkunftsgebiete: Nowaja Semlja, Barentsmeer, Nordrufiland, ebenfalls ganz
jährig außer Juli—August. Hierzu wäre folgendes zu ergänzen: in der Herkunftbezeichnung generalisiert Sch. in
gewisser Weise. Denn Kaltluft, die vom Barentsmeer stammt und solche, die in Nordrufiland entstanden ist, dürfte
streng genommen verschiedenen Charakter besitzen, auch wenn wir zugute halten, daß die Barentssee teilweise und
zeitweise eisbedeckt ist und damit auf die Luftmassen kontinentähnliche Einwirkungen ausüben kann. Sch. bezieht