A. Wedemeyer: Winkeltreue Kartennetzc in elementarer Behandlung
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Der Unterricht in der Kartographie soll den Schülern (Offizieren, Technikern, Karto*
graphen, Geographen) die Kenntnis der Kartennetze übermitteln, so daß sie fähig sind,
aus den bekannten Netzen das für einen bestimmten Zweck beste Netz selbst auszusuchen
und zu entwerfen. Dieser Aufgabe wird der Unterricht selten gerecht, da Lehrer und
Lehrbücher die Kartographie als einen Zweig der mathematischen Abbildungslehre be«
trachten, die eine Oberfläche auf eine andere abbildet. Dementsprechend stellen die
Lehrer an das Auffassungsvermögen der Schüler Anforderungen, die diese nach ihrer
Vorbildung nicht erfüllen können. Sie fordern entweder Kenntnis der Körperlehre oder
der Infinitesimalrechnung und lehren die geometrische Zeichnung von Kartennetzen, die
in der Praxis nie angewandt wird. Sie lehren, daß die sogenannten perspektivischen Ent*
würfe entstehen, indem man von einem Punkte der Erdachse oder ihrer Verlängerung
aus die Erdoberfläche auf eine Zeichenebene abbildet, die die Erdkugel in einem Punkte
berührt. Diese für Himmelskarten richtige Zeichnung trifft für Erdkarten nicht zu. Der
Schüler wundert sich nachher, daß London in der Karte rechts (östlich) von Moskau
liegen wird. Als erste praktische Übung in der ebenen Dreieckslehre wird aber mit dem
Schüler das Gelände aufgenommen, also wird das Gelände von einem Standpunkt auf
der Erde auf die von der Erde abgewendete Seite des Zeichenblattes abgebildet. Dem
Schüler ist daher diese Anschauung geläufig; der Vermessungstechniker mißt täglich
Seiten und Winkel auf der Erde. In der Kartographie soll er aber seinen Standpunkt
ins Innere der Erde verlegen 1 )- Hat der Lehrer endlich nach vielen Stunden die perspek«
tivischen Netze behandelt, geht er zu den Kegelprojektionen über. Warum diese Netze
den perspektivischen überlegen sein können, erfährt der Schüler erst spät oder überhaupt
nicht. Der Kegel wird in einer Mantellinie aufgeschnitten und in die Ebene abgerollt.
Die Karte wird also links und rechts von demselben Großkreis (meist Meridian) begrenzt.
In Wirklichkeit setzt sich die Karte unendlich weit fort. Jeder Punkt der Kugel wird
zwei*, dreimal oder unendlich oft abgebildet, was bei dem Schüler Verwunderung erregen
muß. Der Hilfskegel oder -Zylinder ist daher ein wenig geeigneter Notbehelf und sollte
ganz weggelassen werden.
Der Unterricht beschäftigt sich in der Hauptsache mit Erdkarten, obgleich der
Schüler selten in die Lage kommen wird, eine Erdkarte zu zeichnen. Er zeichnet viel*
mehr Karten begrenzter Gebiete der Erde. Ist der Mittelpunkt (Hauptpunkt) der Karte
nicht der Erdpol, so geben die Lehrbücher Anweisungen, wie die geographischen Koordi«
naten in azimutale umgewandelt werden. Will der Schüler nach diesen Anweisungen
eine Karte von Deutschland in großem Maßstab zeichnen, so wird er bald merken, daß
er dazu sechs« und siebenstellige Logarithmen verwenden muß. Der Gebrauch solcher
großen Tafeln ist ihm unbekannt und unbequem, da er in der Schule nur fünfstellige
Tafeln kennengelernt hat. Die Hilfstafeln von Hammer werden über diese Schwierigkeit
kaum hinweghelfen; sie müßten mehr ausgebaut werden. In der Wirklichkeit kann man
mit vierstelligen Tafeln auskommen, was die Lehrbücher verschweigen. Soll eine
Merkatorkarte (Seekarte) mit längentreuem Breitenparallel, z. B. <p 0 = 50°, in großem Maß«
stab gezeichnet werden, so lehren die Lehrbücher, daß man dazu die log nat tang
*) O. Eggert, Die stereographische Abbildung des Erdellipsoids, Zeitschr. f. Vermessungswesen 1936,
S. 160: „Die Anwendung der perspektivischen Projektion auf das Erdellipsoid wird wohl kaum zu einer
geeigneten Lösung führen.“ (Zusatz während des Drucks.)