Rudolf Geiger und Fritz Wagner: Höhenwinde vor der westafrikanischen Küste
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Bei der Abreise von Las Palmas lag die Insel umhüllt von einer massigen Cu-Haube. An
Backbord war die Insel Fuertoventura, die bei 50Seemeilen Distanz nicht unmittelbar sichtbar war,
an den getürmten Wolkenmassen erkennbar. Am folgenden Tage aber, dem 27. Oktober, wurden
bei fast windstillem Wetter und spiegelglatter See nur noch einzelne Cu am Horizont sichtbar.
Dann aber verschwand die tiefe und mittelhohe Bewölkung ganz, wie die Abb. 3 gut erkennbar
macht. Cist, Ci und Cicu begleiteten uns bis Dakar. Am häufigsten unter diesen war ein Cist-
Schleier, der den größten Teil des Himmels überzog und so dicht war, daß er sich bisweilen
dem Charakter eines Ast näherte. Für die Pilotballonaufstiege brachte diese Veränderung in
der Bewölkung die Möglichkeit, hoch hinaufzukommen. Mit Aufstieg Nr. 18 am 27. Oktober,
morgens, wurde zum ersten Mal 15 km Höhe überschritten.
Die Fahrt durch das „Dunkelmeer“ hatte die erwartete Sichtverschlechterung nicht gebracht.
Im Gegenteil lag die Sichtweite durchwegs über 10 Seemeilen und war zeitweise ganz außer
gewöhnlich groß, die Kimm messerscharf. Trotzdem war die Luft erfüllt von einer milchigen
Trübung, so daß (trotz bester Sicht) alles wie in einen Sonnennebel eingetaucht schien. Diese
Trübung hatte auf der Fahrt gegen Dakar an Intensität zugenommen.
Der gewaltige Temperatureinfluß des kalten Küstenwassers bei Cap Blanco tritt in der
Abb. 1 mit aller Deutlichkeit heraus. Zunächst war von Las Palmas an trotz der Südwärts
bewegung des Schiffes die Lufttemperatur rückläufig, und erst nach Passieren des Cap Blanco
auf etwa 20 Seemeilen Distanz am Morgen des 28. Oktober (7 h ) stiegen Wasser- und Luft
temperatur außerordentlich rasch wieder an, so die Lufttemperatur vom Morgen zum Abend des
28. Oktober um rund 7°C. (Man vergegenwärtige sich dabei, daß auf der küstenfernen Fahrt
seit der Biskaya die tägliche Temperaturschwankung ganz geringfügig war; siehe Abb. 1!) Der
oben schon erwähnte Cist-Schirm wurde so dicht, daß er zwar die Sonnenstrahlung noch durch
ließ, aber durch Verhinderung der Ausstrahlung der Luft Treibhauscharakter gab. Dieser ver
stärkte sich für den subjektiven Eindruck dadurch, daß das Schiff den Passatwind gerade aus-
fuhr; selbst oben im Kartenhaus betrug die Temperatur 31° C. Das Schiff war in den Bereich
des Tropenklimas eingetreten.
Der Gang des Luftdrucks schaukelte sich auch allmählich in den Rhythmus des für die Tropen
charakteristischen täglichen Ganges ein, wie die Abb. 1 erkennen läßt. Als daher die „Livadia“
am Abend des 29. Oktober die Granitkuppen des Cap Verde passiert hatte, hatte sie zwar, wie
wir sehen werden, das Gebiet des NE-Passats noch nicht endgültig verlassen, war aber schon
so stark in den Bereich tropischer Klimaeinflüsse getreten, daß wir damit den zweiten Abschnitt,
die Fahrt innerhalb der Tropen, zu beginnen berechtigt sind.
Zweiter Abschnitt: Die Fahrt innerhalb der Tropen.
1, Allgemeines zum tropischen Reiseabschnitt.
Um die Jahreszeit, in welche die Reise fiel, strebte die Sonne ihrem südlichsten Stande zu.
Vergegenwärtigen wir uns einmal die Strahlungsverhältnisse und berechnen für die einzelnen
Reisetage die Sonnenhöhe bei der mittäglichen Kulmination. Indem das Schiff südwärts fuhr,
kulminierte die Sonne immer höher. Der für den ortsfesten Beobachter gegebene jahreszeitliche
Fortschritt wurde also rückgängig gemacht; das Schiff fuhr, wie mau zu sagen pflegt, „in den
Sommer“. Wir berechnen für jeden Reisetag (Abszisse der Abb. 4) dasjenige Datum des gleichen