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Dr. Carl Sclioy: Arabische Gnomonik.
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irgend eine Rotationsfläche als Wassergefäß annehmen. Allein solche, wenn auch noch so reizvollen An
wendungen der Integralrechnung auf Probleme der antiken Zeitmessung liegen uns hier zu ferne, als daß
ein näheres Eingehen auf dieselben in Rücksicht auf unseren Traktat angezeigt wäre.
IV. Kapitel.
Die Qibla, Kiblali, Kebla, Keble oder Kebleheli.
Zu den verbindlichsten Vorschriften des Korans gehört die Innehaltung der Qibla beim Gebet.
Diese Orientierung nach dem Heiligtum ist übrigens nicht arabischen Ursprungs, sondern wurzelt im Juden
tum. Nach der Ueberlieferung ist sie so alt, wie der Tempel selbst. Die Weiherede, (Kön. I, 8, danach
Chron. II, 6) noch deutlicher aber das Buch Daniel (VI, ll) zeigen uns dies. So heißt es in dem letzteren:
„Als David nun vernahm, daß der Erlaß ausgefertigt war, begab er sich in sein Haus, in dessen Obergemach
er in der Richtung nach Jerusalem geöffnete Fenster hatte, kniete täglich dreimal nieder, und betete zu
seinem Gotte und dankte ihm, ganz wie er es bisher zu tun gepflegt hatte“. Nach J. Hamburger:
Real-Encyklopädie für Bibel und Talmud, 1883, II, pag. 1134, besteht für den Betenden folgende Vorschrift:
Außerhalb Palästinas wendet sich der Gläubige diesem Lande zu, innerhalb Palästinas nach Jerusalem, in
Jerusalem nach dem Tempel, im Tempel nach dem Heiligtum.
„Selbst in den Gebetsriten war Mohammed anfänglich von den Juden abhängig, er wandte
sein Antlitz zeitweilig beim Gebet nach Jerusalem; die älteste Moschee in Medina ist nach Jerusalem orientiert.
Aber der mächtigen Judenherrschaft gegenüber war der Liebe Mühen umsonst. Da trat am IG. Januar
G24 nach Sonnenuntergang ein Mann in die Moschee und rief den zum Gottesdienst versammelten Gläubigen
zu: ,Ich komme vom Propheten und bringe Euch die Nachricht, daß Gott die Qibla abgeändert, wendet
Euer Gesicht gegen die Ka’ba zu Mekka; denn diese ist von nun an Eure Qibla! 1 Alle drehten sich um,
so daß die Kinder und Frauen, die sonst in den letzten Reihen standen, nun vorn waren. Die Neuerung
machte großes Aufsehen : mit gutem Grund, weil sie endgültig mit dem Judentum brach und die Stiftung der
arabischen Nationalkirche einleitete.“ (H. Nissen, „Orientation“, I, p. 70—72).
Selbst ein religiös gleichgültiger Islamite weicht von dieser Vorschrift nicht ab. Carsten Niebuhr
berichtet in seiner „Reisebeschreibung nach Arabien“, (I. Bd., pag. 226) daß ihn in der Wüste herum-
scliweifende Beduinen öfters angefleht hätten, ihnen die Qibla zu bestimmen, wenn sie ganz ohne Orientierung
waren. Der Behauptung A. Müllers („Der Islam im Morgen- und Abendlande“, 1883—1885, I. Bd., pag. 193),
daß man im Zweifelsfalle die Richtung nach Mekka durch einen Blick auf einen zu diesem Zweck ange-
fertigtea Kompaß festzustellen pflege, steht folgende Angabe Carsten Niebuhrs (a. a. 0. pag. 226) ent
gegen: „Die Direktion des Weges fand ich leicht nach einem kleinen Kompaß, ohne daß es die Araber
merkten oder daß es einigen Argwohn erwecken konnte; denn, obgleich die mohammedanischen Gelehrten
Kompasse haben, um danach die Keblah in ihren Mosquéen zu bauen, so schien doch keiner .der herum
streifenden Araber den Gebrauch desselben zu kennen. Es ist also wohl nicht sehr zuverlässig, wenn
man in den Beschreibungen von Arabien lieset, daß die Karawanen daselbst nach dem Kompaß reisen“.
Wie schon in der Einleitung erwähnt, wurde die Qibla stets auf dem Zifferblatt der Horizontal
sonnenuhr gezogen, aber auch in den Nischen aller Moscheen und auf öffentlichen Plätzen mit freier Aussicht
pflegte ihre Festlegung zu geschehen. 1 ) Reiche Muselmänner lassen sich sogar die Qibla in ihrem eigenen
Gebetszimmer (Oratoire) ziehen. Hier ist der Ort, auf die schöne Konstruktion der Qibla einzugehen, die
sich in den Récréations mathématiques et physiques, 1790, Tome III, pag. 63 (nouvelle édition par M. Mon-
tucla) findet. Montucla behandelt die Aufgabe der sphärischen Trigonometrie: Gegeben 2 Seiten eines
sphärischen Dreiecks und der eingeschlossene Winkel; einen der 2 anderen Winkel zu finden, und löst die
selbe in folgender Weise:
') Das reich ausgestattete Werk von Mutige a d'Ohsson: Tableau général de l'empiré otkoman, Paris, 173S gibt
auf Tafel XVI eine Abbildung eines solchen öffentlichen Gebetsplatzes. Ein pyramidenförmig zugespitzter Stein, dessen
Vordertiäche mit der ewigen Lampe geschmückt ist, markiert die Qibla. Der Betende, der auf dem Gebetsteppich kniet
und die Lampe anblickt, wendet damit von selbst sein Gesicht gen Mekka.