No. 1.
Versuche über den Stau und Sog an den Oberflächen halbeingetauchter,
schräg durch das Wasser geführter, drachenälmliclier Körper.
Von Prof. Dr. W. Kuppen.
Die meteorologischen Drachenversuche der Deutschen Seewarte, die zur Erfindung einiger neuer
Drachenformen führten, legten mir den Wunsch nahe, über die Verteilung des Winddrucks auf den Drachen-
flächeu und über die gegenseitige Beeinflussung der Flächen auf experimentellem Wege Auskünfte zu erhalten.
Versuche in Luft waren ausgeschlossen, weil sie viel zu schwierig und zeitraubend sind, als daß ich sie hätte
neben meinen übrigen Arbeiten zu einem befriedigenden Ergebnis durchführen können. Dagegen gab der
von Herrn Prof. Dr. Fr. Ahlhorn, Oberlehrer am hiesigen Realgymnasium, eingeschlagene Weg, diese Druck
verteilung aus dem Aufstau des Wassers an der vorderen und der Depression desselben an der hinteren
Seite einer schräg durch das Wasser bewegten Platte zu erschließen, Aussicht auf schnelle Gewinnung einer
Orientierung über die einschlägigen Verhältnisse in ihren Hauptzügen. Sehen wir von den Vorgängen an
den Seitenrändern des Drachens ab, so muß in der Tat geometrische Ähnlichkeit bestehen zwischen den
Bewegungen der Flüssigkeit, sowie auch der Verteilung des Druckes, an einem Drachen und an der Eintauch
stelle einer senkrechten, halb ins Wasser getauchten, horizontal bewegten Platte. Für die letztere aber ergibt
die Benetzungshöhe in einfachster Weise nicht allein die entscheidende Differenz der Drucke auf die vordere
und hintere Fläche der Tafel für jede Stelle ihrer Eintauchlinie, sondern auch durch Vergleiche mit dem
Ruhe-Niveau des Wassers, die Entstehung dieser Druckdifferenz aus einer Druckerhöhung vor und einer Druck
minderung hinter der Tafel. Denn wir dürfen bei annähernd stationär gewordener Bewegung ebenso, wie
bei ruhender Flüssigkeit, die Höhe des Wasserstandes an den verschiedenen Stellen der beiden Oberflächen
der Tafel als Maß des auf dieselben wirkenden Druckes ansehen.
Da die tragende Fläche meteorologischer Drachen gegenwärtig stets durch eine Verbindung mehrerer
ganz oder annähernd paralleler Segel gebildet Avird, so habe ich besonders die gegenseitige Beeinflussung
benachbarter schräger Platten auf obigem Wege durch eine große Zahl von Versuchen näher geprüft. Hierzu
wurde eine höchst einfache Methode angewendet, die zwar keine große Genauigkeit gestattet, aber zu einer
ersten Klärung des Terrains und zur Feststellung der charakteristischsten Züge der Erscheinung genügt und
schnell eine große Reihe von Versuchen auszuführen gestattet. Die Versuche sind nur zum kleinsten Teile
von mir selbst, zum größeren von den Herren W. Bethge und M. Keller unter meiner Leitung auf der
Seewarte in den Jahren 1901 und 1902 ausgeführt worden.
Herr Fr. Ahlhorn hat bekanntlich die Untersuchung der Erscheinungen des Flüssigkeits-Widerstandes
in sehr erfolgreicher Weise auf zwei Wegen in Angriff genommen:*) 1) durch die photographische Fest
legung der Bewegung der Flüssigkeitsteilchen in der Umgebung des widerstehenden Körpers und 2) durch
Feststellung der Niveauänderungen der Flüssigkeit an der Oberfläche des durch dieselbe geführten, halb-
eingetaucliten Körpers. Herr Ahlborn selbst hat seine Aufmerksamkeit bis jetzt überwiegend dem ersten
dieser Wege zugewandt und auf ihm eine große Anzahl schöner und höchst instruktiver Diagramme gewonnen,
von denen er eine Auswahl an mehreren Orten besprochen und veröffentlicht hat. Den zweiten, einfacheren
Weg dagegen hat er bis jetzt nur für Avenige Fälle einfachster Art verfolgt. Die vorliegende Untersuchung
*) Die erste Veröffentlichung geschah auf der 73. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte in Hamburg 1901;
spätere sind umseitig angeführt.
Archiv 1904. 1.