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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 1896 No. 4 —
drehenden Wirbeln ausführlich zurückkommen. Es sei hier noch eins hervorgehoben, welches der hier ge
gebenen Erklärung der ¡Sturmgewitter eine kräftige Stütze verleiht.
Das Gewitter schreitet über eine lange schmale Zone in der Richtung des kleinen Pfeiles weiter. Wenn
nun in der That das Gewitter von einem rechtsdrehenden Wirbel verursacht wird, so müssen die Zeitangaben
der Beobachter auch eine Aufeinanderfolge in der Richtung senkrecht zur erstgenannten und zwar von
rechts nach links angeben, wenn nur die Anzahl der Beobachter genügend gross und das Terrain nicht zu
schmal ist. Diese doppelte Aufeinanderfolge in den Zeitangaben weisen die Beobachtungen am 6. Januar
1892 sehr deutlich an.
Die zweite Hauptgruppe der linksdrehenden Wirbel umfasst eine Menge sehr verschiedener Erschei
nungen, welche ebenso viele verschiedene Gewitter veranlassen können.
Den Hauptzügen nach sind letztere einzutheilen in Gewitterböen und Wärmegewitter. Die Sturm
gewitter sind Folgen der turbulenten Bewegung und werden unmittelbar verursacht durch sehr grosse Ge
schwindigkeit der Luft in gewisser Höhe; Böen dagegen entstehen umgekehrt durch grössere Geschwindigkeit
eines auf der Erdoberfläche in eine Luftmasse von anderen Eigenschaften eindringenden Luftstromes.
Gewitterböen. Ueberall da, sei es auf mechanischem Wege, sei es durch meteorologische Umstände
veranlasst, wo zwei heterogene Luftmassen unmittelbar auf und neben einander in verschiedener Richtung
sich fortbewegen, kann der Fall eintreten, dass in der Trennungsfläche eine wirbelnde Bewegung entsteht.
So zum Beispiel kann durch eine Bergkette eine durch Insolation feuchte, warme Luftmasse von einer
trockenen, wenig warmen getrennt werden. Gelangt letztere über die Passhöhe, so muss sie an der anderen
Seite absteigend und über den Boden kriechend die warme, feuchte Luft in die Höhe drängen. Dieser Strom
ist für sich bereits im Stande, das Barometer zum Steigen zu bringen, doch erst dann entsteht ein plötz
licher Druck und eine Temperaturstörung, wenn die schwerere unterfiiessende Luft mit gewisser Geschwindig
keit forteilt und einen an der oberen Trennungsfläche entstandenen Wirbel mit sich führt. Eine genaue
Durchsicht der Wetterkarten lehrt, dass auch ohne anfängliche mechanische Trennung ein schwerer, kalter
Luftstrom in einen feuchten, warmen an der Erdoberfläche eindringen kann. Bald erscheint solch ein Strom,
angezogen durch ein entferntes Minimum, bald dringt er zungenförmig zwischen zwei Luftdruck-Minima.
Diese Erscheinungen sind meistens ungenügend bekannt. Viele der dabei auftretenden Gewitter bilden
einen Uebergangstypus zu den Wärmegewittern. Das sogenannte böige Wetter gehört hierzu. Es tritt in
den Niederlanden auf bei Anwesenheit eines ausgedehnten Luftdruck-Minimums in Westeuropa, dessen
Zentrum durch die Nordsee ostwärts schreitet. Im südlichen und südwestlichen Theil dieser Depression
weht kräftiger SW-Wind. Der Himmel ist abwechselnd schwer bewölkt und heiter. Sonnenschein und Hagel
böen mit Regen wechseln sich längere Zeit ab. Lokal und unregelmässig über das Land verbreitet, werden
ein oder mehrere Donnerschläge gehört. Diese Erscheinungen erreichen ein Maximum in den Nachmittags-
Stunden und geben so ihre Abhängigkeit von der Insolation kund. In den Augenblicken, während der
Himmel heiter ist, fühlt man die kräftige Wirkung der Sonnenstrahlen. Diese kräftige Insolation muss
lokal in der allgemeinen südwestlichen Strömung eine Aufsteigung hervorbringen, welche sich alsdann bald
in einer bleigrauen oder braunen Kumulus-Wolke mit blendend weissen Kuppen kundgiebt. An der Lee
seite dieser aufsteigenden Luftmenge gerätli die allgemeine südwestliche Strömung in Aufsteigung und kurz
dauernde Wirbelung. Der ganze Vorgang ist innerhalb kurzer Zeit abgespielt und treibt zu gleicher Zeit
in dem allgemeinen Strom weiter, und daraus erklärt sich die lokale Begrenzung und kurze Dauer der Er
scheinung. Sie wiederholt sich im südöstlichen Quadranten ganz unregelmässig bald liier, bald da. Die
Hagelkörner sind klein und hart und besitzen die eigentümliche konische Gestalt mit kugelförmiger Grund
fläche. Wahrscheinlich ist diese eine Folge der beträchtlichen Höhe der Kumulus-Massen, in denen sie
gebildet sind; während des Herabfallens durch die feuchte aufsteigende Luft wird fortwährend Wasserdampf
an ihrer unteren Seite kondensirt und gefriert, und weil bei diesem Anwachsen der Schwerpunkt immer
tiefer in dem Korn herunterrückt, fällt dieses ohne umzukippen. Die sehr grossen Höhen in Verbindung
mit der geringen Intensität und der kurzen Dauer der Erscheinung sind die Ursache, dass Temperatur und
Luftdruck auf der Erde keine merklichen Störungen erleiden; am deutlichsten merkbar sind die impulsiven
Luftbewegungen in den Wiudaufzeichnungen.
Die meist typische und grossartige Form der uns jetzt beschäftigenden Erscheinung ist die eigentliche
Gewitterböe, welche wir im Anschluss an die am meisten bekanute, von Koppen beschriebene Böe vom
4. August 1881 behandeln wollen.