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Bei gleicher Krümmung der Windbahn und gleicher Geschwindigkeit nimmt mit
wachsendem Reibungskoefficienten der Gradient zu, der Ablenkungswinkel aber ab.*)
Da im mittleren und nördlichen Europa wegen der grösseren Barometerschwankungen im Norden
die Ostwinde vorwiegend anticyklonal, die Westwinde meist cyklonal gekrümmten Windbahnen angehören,
so mag die aus empirischen Untersuchungen **) hervorgehende Thatsache, dass erstere bei gleicher Ge
schwindigkeit eines geringeren Gradienten bedürfen, als letztere, in dem ersten dieser Sätze wenigstens
theilweise ihre Erklärung finden. —
Es wurde oben, S. 17, darauf hingewiesen, dass die Trägheitskurven auf der Erdoberfläche mit
denen auf einer Kugel nur dem Sinne der Krümmung nach übereinstimmen, während der Werth derselben
ein anderer ist. Wir bedienen uns zur approximativen Ermittelung des Krümmungsradius der Gleichun
gen 20), aus welchen sich für pi und jh- — 0 ergiebt:
d' 2 s
d? 1
= 0
2
ds
dt
CO sin (f>
(ds\ a _l
\dt) p
= 0
42)
Nach der ersten Gleichung ist
ds
d t
oder:
= v = (konstant), so dass die zweite übergeht in
2 co sin cp 4- v n — — 0
9
»o
p — .— y
2 ca si n cp
Die Trägheitskurve ist also, insofern man die Breitenänderung ausser Acht lassen kann, ein mit
konstanter Geschwindigkeit durchlaufener Kreis vom Radius p. Streng genommen wird indessen die Träg
heitskurve nicht eine geschlossene Kurve sein, sondern aus Zügen von der in Fig. 8 der Tafel dargestellten
Form bestehen; die Geschwindigkeit », mit der dieselben durchlaufen werden, ist indessen auf alle Fälle
konstant. (Man vergl. auch Seite 28). Die folgende Tabelle enthält für einige bei Luftströmungen häufig
vorkommende Geschwindigkeiten die Länge des Krümmungsradius p in Kilometern.
Polhöhe cp:
0°
2‘/2°
5°
10°
20°
30°
O
o
Ol
O
O
OS
O
o
70°
00
o
o
90°
Í 20 Meter
oo
3144
1572
790
401
274
213
179
158
146
139
187
Geschwindigkeit < ] ()
oo
1572
787
395
200
137
107
90
79
73
70
69
v 1 5
CO
786
393
197
100
69
53
45
40
36
35
34
Die Trägheitskurven der
bewegten Luft sind somit sehr
stark anticyklonal
gekrümmt.
Da nun
nach den synoptischen Karten die cyklonalen Windbahnen bei Weitem überwiegen, so tritt auf’s Deutlichste
hervor, wie wenig die frühere Hypothese, nach welcher die Luftströme dem ablenkenden Einflüsse der Erd
rotation wirklich folgen sollten, der Wirklichkeit entspricht. In dieser Hinsicht waren, wie schon in der
Einleitung hervorgehoben, Mühry’s Proteste gegen die namentlich in Deutschland herrschende Strömung
in der Meteorologie berechtigt, so sehr auch seine Auseinandersetzungen vielfach gegen die Principien
der Mechanik verstossen.
Die anticyklonale Krümmung der Trägheitskurven wird mit der Annäherung an den Aequator sehr
schnell geringer; am Aequator selbst ist, wie bei absoluter Bewegung, die gerade Linie die Trägheitskurve.
Da nun nach der Fig. S. 21 bei irgend einer Krümmung der Windbahn (z. B. bei der geradlinigen Bahn)
die Kraft F e um so kleiner wird, je weniger stark anticyklonal die Trägheitskurve gekrümmt ist, so ergiebt
sich sogleich folgender Satz:
Bei gleicher Krümmung der Windbahn und gleichem Reibungskoefficienten neh
men für ein und dieselbe Windgeschwindigkeit sowohl Gradient als auch Ablenkungs-
*) Diese Sätze sind natürlich auch den Gnldberg-Mohn’schen Abhandlungen zu entnehmen; da sie sich aher so
unmittelbar ergeben und offenbar noch recht wenig bekannt sind, so erscheint es nicht überflüssig, dieselben aus
drücklich hervorzuheben.
**) Im zweiten Theile meiner Arbeit werden die für die Deutschen Küsten gefundenen numerischen Werthe mitgetheilt werden.