3 Meeresphysik
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System Nordsee
längeren Stagnationsperiode der Globaltemperatur verbunden sein könnte (s. a.
Keenlyside et al. 2008). Schließlich präsentierten Wang et al. (2009) kürzlich Argu
mente für die Rolle der NAO als »The Pacemaker of Climate Shifts«, die diese jedoch
in Hinsicht auf die Ergebnisse des folgenden Abschnitts gegenwärtig nicht aktiv wahr
zunehmen zu scheint.
3.5.5 SST vis-à-vis NAO: Unabhängigkeitserklärung
ln letzter Zeit mehren sich Berichte, dass früher festgestellte Abhängigkeiten verschie
denster physikalischer und ökologischer Variablen von der Nordatlantischen Oszillati
on (NAO) ihre Gültigkeit verloren hätten (z. B. Overland und Wang 2005, Polyakova
et al. 2006). Rätselhaft erscheint dabei insbesondere der Umstand, dass viele dieser
Variablen und Zustandsindikatoren ungebrochenen oder gar beschleunigten Trends
unterliegen, obgleich sich die NAO seit Mitte der 1990er Jahre in einer neutralen, ten
denziell negativen Phase befindet. Eine denkbare Erklärung für dieses Paradoxon
könnte in einer Nordost-Verlagerung der Aktionszentren (Islandtief und Azorenhoch)
bestehen 1 , so dass traditionelle, ortsfeste NAO-Indizes den NAO-Zustand möglicher
weise nicht mehr hinreichend gut erfassen. Andererseits steht die NAO in Konkurrenz
mit anderen Zirkulationsformen, die ihren Einfluss auf abhängige Zustandsvariablen
qualifizieren. Am Beispiel der Oberflächentemperatur von Helgoland-Reede wurde be
reits früher gezeigt (Loewe et al. 2003), dass Korrelationen mit der NAO nicht statio
när sind und phasenweise ohne praktische Bedeutung waren.
An dieser Stelle soll der Frage nachgegangen werden, ob die starke Abhängigkeit der
Nordseetemperatur (SST) von der NAO im Zeitraum 1971 - 1996 (Loewe 1996) seit
her fortbestanden hat. Die Jahrestemperatur (Abb.3-23) war im genannten Zeitraum
fast vollständig durch die Wintertemperatur (DJF) bestimmt (r 2 = 78 %) und kann des
halb ebenso gut wie diese für eine Korrelations-/Regressionsanalyse mit dem Winter
NAO-Index (DJF) herangezogen werden.
Die Analyse bestätigt zunächst einmal, dass bis 1996 zwischen beiden Variablen ein
recht starker Zusammenhang (r 2 = 45 %) bestanden hat (Abb.3-25), der sich mit der
überkommenen physikalischen Erklärung im Einklang befindet: die mit stark positivem
(negativem) NAO-Mode verbundene verstärkte (abgeschwächte) Zufuhr maritimer
Warmluft aus dem Nordatlantik bedingt milde (kühle) Wintertemperaturen (NAO-Me-
chanismus). Die festgestellte statistische Abhängigkeit »lebt« dabei von der Bipolarität
der Moden, denn die erklärten Varianzen für nach dem NAO-Index stratifizierte Stich
proben (NAO <-1,-1 < NAO < 1, NAO > 1) sind aufgrund der erheblichen Streuung
der Temperaturen im jeweiligen Indexbereich verschwindend gering (10, 7, 2 %).
Eine ähnlich empfindliche Abschwächung des linearen Zusammenhangs ergibt sich,
wenn die Jahre 1997 -2006 in die Analyse einbezogen werden (r 2 = 18 %), denn in
dieser Dekade waren Temperatur und NAO-Index unkorreliert (r 2 = 1%). In 7 Fällen
lag die Temperatur um etwa 1 K höher als aufgrund des für die Zeit 1969 - 1996 fest
gestellten indifferenten Temperaturverhaltens bei relativ neutralem NAO-Index zu er
warten gewesen wäre; in 4 Fällen - nämlich interessanterweise in den wärmsten Jah
ren des Gesamtzeitraums - wurden sogar die »beziehungskonformen« Temperaturen
der Jahre 1999, 2000, 2005 übertroffen (Abb. 3-25).
1. Derartige Verschiebungen werden nicht nur in Szenarienrechnungen zur globalen Erwärmung simuliert
(z. B. Hu und Wu 2004), sondern sind offenbar bereits eingetreten und mit dem beschleunigten Rückgang des arkti
schen Meereises seit der Jahrtausendwende In Zusammenhang gebracht worden (Zhang etal. 2008).