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Full text: Jahresbericht 1968

Hundertjahrfeier 
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der Zelt entfernten sich jedoch die beiden Diszipli 
nen voneinander. Das Interesse der Meteorologen wandte 
sich den Prozessen in der freien Atmosphäre zu, wäh 
rend die Ozeanographen ihre Meßgeräte in die Tiefen 
des Meeres herabließen, um die Vorgänge dort unten 
zu studieren. Die Meeresoberfläche und die an ihr 
und durch sie hindurch wirksamen Reibungs- und Aus 
tauschprozesse blieben weitgehend unbeachtet. An der 
Deutschen Seewarte führte diese entgegengesetzte Ent 
wicklung schließlich zur organisatorischen Trennung, 
der Arbeitsbereiche Ozeanographie und maritime Meteo 
rologie, wenn diese auch weiterhin zum gleichen 
Institut gehörten. Nach dem Kriege wurde sodann die ' 
organisatorische Trennung vollständig vollzogen. Wir 
haben jetzt zwei separate Institute. Das Seewetter 
amt des Deutschen Wetterdienstes repräsentiert die 
meteorologische Komponente der Deutschen Seewarte, 
während wir die nautisch-ozeänographischen Bestand 
teile der Deutschen Seewarte im Deutschen Hydrographi 
schen Institut vereinigt finden mit weiteren, meist 
hydrographischen Arbeitsgebieten, die führer von der 
Marine wahrgenommen wurden. 
In der Gegenwart erleben wir jedoch wieder eine 
Tendenz zur Annäherung zwischen den beiden wissen 
schaftlichen Disziplinen Ozeanographie und Meteorolo 
gie. Man hat erkannt, daß die herkömmliche Betrach 
tungsweise, die sowohl den Ozean als auch die Atmo 
sphäre jeweils als ein abgeschlossenes System behan 
delt, als eine überholte Form der Untersuchung ange 
sehen werden muß. Wir wissen jetzt, daß die Wechsel 
wirkungsprozesse zwischen den beiden Medien Luft und 
Wasser eine bedeutende Rolle spielen können, wenn 
auch ein quantitativer Nachweis für diesen Einfluß 
bei verschiedenen Größenordnungen der Bewegung noch, 
aussteht. 
Im einzelnen ist die gegenwärtige Situation 
recht bemerkenswert: Die Wechselwirkungseffekte im 
Ozean beherrschen wir theoretisch schon recht gut in 
den verschiedenen Größenordnungen der Bewegung. 'Wir 
können berechnen, welche Prozesse im Ozean durch 
atmosphärische Effekte kleinräumig oder auch in syn 
optischer Größenordnung erzeugt werden. Was uns meist 
fehlt, ist der experimentelle Nachweis, daß diese 
Rechnungen zutreffen. Umgekehrt haben wir bisher noch 
wenig Aufschluß darüber gewinnen können, wie stark 
ozeanische Effekte die atmosphärischen Vorgänge beein 
flussen. Wir wissen zwar, daß diese Wirkungen, insbe 
sondere die aufwärts gerichteten Transporte fühlbarer 
imd latenter Wärme, bei kleinräumigen Prozessen und 
auch noch bei tropischen Wirbelstürmen relevant sind, 
bei den Zyklonen und Antizyklonen der mittleren Brei 
ten ist dieser Nachweis indessen noch nicht überzeu 
gend gelungen. Auch wissen wir noch nicht, ob und 
wenn ja wie die tieferen Schichten des Ozeans mit 
langzeitlichen Entwicklungen in der Atmosphäre ge 
koppelt sind. 
Solange diese Dinge nicht hinreichend geklärt 
sind, ist es schwierig, eine für die Meteorologie 
und Ozeanographie gleichermaßen brauchbare, gemein 
same Konzeption eines ozeanischen Meßnetzes, basie 
rend auf dem Einsatz von Plattformen, Bojen, Schiffen 
und Satelliten zu entwickeln. Einerseits fordern die 
enormen Kosten, die mit der Errichtung eines solchen . 
Meßnetzes verbunden sind, dringend ein Zusammengehen 
beider Disziplinen. Andererseits sieht es zur Zeit 
nicht so aus, daß sich die Anforderungen an solch 
ein Meßsystem seitens Ozeanographie und Meteorologie 
auf einen gemeinsamen Nenner werden bringen lassen, 
wobei die Tatsache eine gewisse Rolle spielt, daß 
wir über die Veränderlichkeit im Ozean noch zu wenig 
wissen. 
Die Tendenz zur Annäherung, zur gegenseitigen 
Befruchtung, die ich soeben mit Bezug auf die beiden 
Disziplinen Meteorologie und Ozeanographie geschil 
dert habe, zeigt sich übrigens ganz allgemein im 
weiten Bereich der Geowissenschaften, insbesondere 
soweit sie sich mit dem Meere beschäftigen. Erdmag- 
netik und Aeronomie sind eng miteinander verknüpft, 
andererseits geben Erdmagnetik und Gravimetrie wich 
tige Aufschlüsse bei morphologischen und geologischen 
Studien des Meeresbodens sowie hinsichtlich der Struk 
tur des tieferen Untergrundes. Physikalische und che 
mische Ozeanographie sind untrennbar verbunden und 
von ständig wachsender Bedeutung für die marine Geo 
logie und Biologie. Diese enge Koppelung zwischen 
den marinen Wissenschaften zeigt sich nirgends deut 
licher als auf den Fahrten unseres Forschungsschiffes 
"Meteor", das über Arbeitsmoglichlcsiten für alle die 
se Disziplinen verfügt. Jede Fahrt wird für zahl 
reiche verschiedene Forschungsaufgaben genutzt. Da 
durch ergibt sich ein fruchtbarer Gedankenaustausch 
zwischen den beteiligten Disziplinen wie auch ein 
enger menschlicher Kontakt zwischen den eingeschiff- 
ten Wissenschaftlern. 
Angesichts der vielen ungelösten Probleme ist 
es zu begrüßen, daß die heute beginnende Tagung den 
Wechselwirkungen zwischen Ozean und Atmosphäre, der 
Veränderlichkeit im Ozean und der marinen Geophysik 
besondere Aufmerksamkeit schenken will. Sie kann da 
durch einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Mee 
resforschung leisten, die in Deutschland vor 100 Jah 
ren durch die Seewarte in Hamburg in bescheidenem 
Umfange begonnen wurde und die sich gegenwärtig auch 
in Deutschland anschickt, als dritter großer For 
schungsschwerpunkt neben die Raumfahrt und die Kern 
forschung zu treten. Ich brauche in diesem Kreise 
nicht die zahlreichen Gründe anzugeben, die für eine 
verstärkte Förderung der Meere3forschung sprechen. 
In der Vergangenheit, als die wirtschaftlichen Aspek 
te der Meeresforschung noch nicht die heutige Bedeu 
tung besaßen, hatte Deutschland auf diesem Gebiet 
einige Leistungen aufzuweisen. In der Gegenwart be 
mühen wir uns, den Rückstand, der inzwischen gegen 
über den anderen maritimen Nationen eingetreten ist, 
aufzuholen. Wir stellen mit Befriedigung fest, daß 
diese Bestrebungen die Unterstützung unserer Regie 
rung gefunden haben. Der Herr Bund.esminister für 
wissenschaftliche Forschung beabsichtigt, die Mee 
resforschung verstärkt zu fördern, und auch der 
Herr Bundeskanzler hat in seinem kürzlichen Bericht 
über die Lage der Nation zum ersten Mal die Notwen 
digkeit der Meeresforschung betont. Ich möchte hof 
fen und wünschen, daß diesen Worten auch Taten fol 
gen mögen!
	        
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