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an. D.h. die Netze werden an diese Struktur adaptiert und der Lernvorgang ist somit adaptiv
[Rodrigues et al. 92].
Neuroinformatisch formuliert werden "Merkmale" der Daten angelernt. Beim Lernen sind
zwei Begriffspaare zu unterscheiden. Das erste Paar betrifft die Aktualität des Lernvorgangs:
off-line und real-time. Off-line heißt, ein Netz wird solange trainiert, bis es "ausgelernt" hat.
Erst dann wird es operationeil genutzt, ohne daß weiter gelernt wird. Real-time dagegen
heißt, daß das Netz während des Operationellen Einsatzes fortdauernd weiter trainiert wird.
Das zweite Begriffspaar betrifft die Anwesenheit eines "Lehrers", der das Netz lehrt: über
wacht und unüberwacht. Überwacht lernende Netze benötigen Hilfe beim Lernen, unüber-
wacht lernende Netze dagegen nicht. Sie lernen von selbst bzw. sie organisieren sich selbst.
In einem neuronalen Netz liegt die angelernte Information verteilt vor. Die verteilte
Repräsentation der Information bewirkt, daß der Ausfall eines einzelnen Neurons nicht zum
Ausfall des Gesamtsystems führt. Von der Malsburg, der die Theorie von der zeitlichen
Korrelation der Gehirnfunktion ins Leben rief [von der Malsburg 83], weist darauf hin, daß
die Neuronen selbst für sich genommen jeweils nur vage Bedeutung haben und nur in ihrem
strukturierten Ensemble Präzision schaffen [Haaf 94]. D.h. die Schärfe der Information ergibt
sich erst im Zusammenspiel aller Neuronen, die einzeln für sich informationsbezogen
unscharf sind. D.h. die Funktionsweise von neuronalen Netzen ist in expliziten Formeln nicht
zu fassen und wird darum mit implizit bezeichnet.
Neuronale Netze arbeiten nichtlinear. Aufgrund ihres adaptiven Lernvorgangs läßt sich ihre
Ausgabe nicht in das Eingabesignal und eine davon unabhängige Transferfunktion zerlegen,
wie das bei linearen Systemen möglich ist. Außerdem sind die Netze noise-robust (wider
standsfähig gegen Rauschen). D.h. sie sind in der Lage, bei dynamischen Systemen zwischen
chaotischem Verhalten und zusätzlichem Rauschen zu unterscheiden [Elsner 91], [Elsner et
al. 92]. Mit chaotischem Verhalten wird ein Verhalten bezeichnet, das zufällig erscheint, aber
deterministisch begründet ist (Kap.2.1.4). Jene Unterscheidungsfähigkeit rechtfertigt die
Anwendung von neuronalen Netzen auf die Vorhersage von chaotischen Zeitreihen. Daraus
folgt, daß die Zukunft des chaotischen Systems bis zu einem gewissen Grad aus dem Verhal
ten vergangener Zustände, das dem der Gegenwart ähnelt bzw. das sich heute quasi wie
derholt, vorhersagbar sein muß [Elsner et al. 92], [Sugihara et al. 90]. Kurz formuliert, es
sollte mit neuronalen Netzen möglich sein, aus der Vergangenheit zu lernen.
Die Experten des Wasserstandsvorhersagedienstes haben sich über Jahre und Jahrzehnte
Erfahrungen bei der Vorhersage des Wasserstandes angeeignet. Allein schon die Existenz
dieser Erfahrung weist darauf hin, daß ein Lernen aus der Vergangenheit möglich ist. Da aber
dieses Lernen auf der Quasi-Wiederholung von vergangenen Zuständen oder Situationen
aufbaut, wird eingeschränkt, daß Situationen, die sich kaum oder gar nicht wiederholen,
schwierig zu erlernen sind. Das gilt vor allem für Sturmfluten (ab Windstärke 9 aufwärts),
die nach bisheriger Erfahrung der Experten alle unterschiedlich ablaufen. Doch für die
übrigen Fälle wird die Hypothese aufgestellt, daß das Lernen aus der Vergangenheit möglich
ist. Aufgrund der wenn auch äußerst bescheidenen Ähnlichkeit von künstlichen neuronalen
Netzen mit dem menschlichen Gehirn, ist mit Hilfe der Netze eine begrenzte Automatisierung
der bisherigen synoptischen Verfahren (der mündlichen Vorhersagen des Dienstes) und damit
eine gewisse Objektivierung der Expertenerfahrung möglich. Es wird versucht, Strukturen
und Zusammenhänge aus Zeitreihen von meteorologischen/ozeanographischen Größen mit
Hilfe von lernfähigen Verfahren automatisch herauszufiltern. Etwas anspruchsvoller formu
liert, soll eine "Dynamikmusterklassifikation" versucht werden, d.h. eine Klassifikation von
meteorologisch/ozeanographischen Prozessen, so weit das möglich ist. Ziel ist, die automa
tisch herausgefilterte Information, d.h. das aus der Vergangenheit Gelernte, auf die Zukunft