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zu ziehen. Beiden Ansätzen ist gemein, daß sie den Weg zu dem Ziel der Vorhersage des
Systems über eine explizite Kenntnis der Zusammenhänge gehen.
Neuronale Netze sind mit den statistischen Verfahren sehr verwandt. Allerdings liegt den
Netzen ein dritter Ansatz zugrunde. Dieser neuronale Ansatz behauptet, daß es möglich sei,
das komplexe nichtlineare System der Natur ohne explizite Kenntnis der Zusammenhänge,
d.h. implizit, vorherzusagen (Kap.3).
Durch die fortwährenden Untersuchungen inkl. Simulationen der Natur werden immer
mehr Einzelheiten der physikalischen Prozesse bekannt. Mit der genaueren Kenntnis dieser
Prozesse geht eine entsprechende Erweiterung der hydrodynamisch-numerischen Verfahren
einher. Als ein erstes Beispiel sei der Wind genannt, der auf den Wasserstand einwirkt. In
den hydrodynamischen Verfahren wirkt der Wind über verschiedene Zwischengrößen. D.h.
er wirkt über die Schubspannung, damit über den Seegang und damit wiederum über die
Oberflächenströmung auf den Wassertransport und somit auf den Wasserstand ein. Im
statistischen Verfahren werden diese Zwischengrößen weggelassen bzw. übersprungen. D.h.
es wird angenommen, daß der Wind direkt auf den Wasserstand einwirkt. Von den Zwischen
größen existieren aber nur relativ kurze Zeitreihen. Die Hauptgrößen, d.h. der Wind und der
Wasserstand dagegen liegen in relativ langen Zeitreihen vor. Somit kann das statistische
Verfahren auf längeren Zeitreihen aufbauen als die hydrodynamisch-numerischen Verfahren.
Der Wind wird in Geschwindigkeit und Richtung gemessen, d.h. in Polarkoordinaten. In den
hydrodynamischen Verfahren aber wird er in kartesischen Koordinaten verwendet. Physika
lisch gesehen besteht zwischen den Winddaten in beiden Koordinatensystemen kein Unter
schied. Die Koordinatensysteme wirken sich aber bei der Anwendung der neuronalen Netze
unterschiedlich aus (Kap.4.2.5). Als ein weiteres Beispiel seien die Temperaturen von Luft
und Wasser genannt, die den Wasserstand mit bestimmen. In den hydrodynamischen Ver
fahren wirken Sonnenstand, Bewölkung, Lufttemperatur, Feuchte und Wind auf Wasser
temperatur und Verdunstung ein, die über die Dichte den Wasserstand beeinflussen. Nieder
schlag wird in dem hydrodynamisch-numerischen Verfahren des BSH nicht berücksichtigt.
Im statistischen Verfahren werden diese Zwischenschritte, bei denen auch noch die Wasser
temperatur von der Lufttemperatur abhängig ist, ebenfalls ausgespart und ein direkter Zu
sammenhang zwischen Luft-AVassertemperatur und dem Wasserstand angenommen.
In den hydrodynamischen Verfahren werden die angedeuteten Prozesse durch ein System
von partiellen Differentialgleichungen simuliert. Die Gleichungen werden durch verschiedene
Approximationen (z.B. Linearisierungen) aus den hydrodynamischen Grundgleichungen
gewonnen [Krauss 73]. Zusammen mit entsprechenden Anfangs- und Randbedingungen
werden sie in ein System finiter Differenzengleichungen umgewandelt und numerisch
integriert. Die Zeitschritte der Integration sind von der Rechnerkapazität (bzw. der vom
Wissenschaftler zugestandenen Wartezeit) und der numerischen Stabilität abhängig (Courant-
Friedrich-Lewy-Kriterium) [Courant et al. 28]. Darum müssen die physikalischen Prozesse,
deren Verhalten durch die Integration simuliert werden soll, hinsichtlich ihrer Längen- und
Zeitskalen begrenzt werden.
In das statistische Verfahren fließen Zeitreihen u.a. von Pegelmessungen ein (Kap.2.1.2).
Die Reihen werden stündlich abgetastet (diskretisiert), so daß Prozesse mit Zeitskalen kleiner
als eine Stunde nicht erfaßt werden. Größeren Zeitskalen wird nur durch die Länge der Reihe
eine Grenze gesetzt. In den Pegelmessungen sind theoretisch die Wirkungen aller Prozesse
enthalten, die Zeitskalen von einer Stunde bis zu mehreren Jahren umfassen. Das gilt aber
mit Einschränkung. Der Seegang z.B. ist in den Messungen herausgedämpft. Wie für das
statistische Verfahren sind Zeitreihen auch die Basis für die neuronalen Netze. In der
vorliegenden Arbeit wird gefragt, ob die Netze die physikalischen Prozesse implizit besser