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2. Vorhersage
In Kapitel 2 werden die Verfahren beschrieben, die bisher am BSH für die Wasserstands
vorhersage eingesetzt werden. Dazu gehören hydrodynamische und statistische Verfahren.
Beide Verfahren werden qualitativ miteinander verglichen und erste Bezüge zu neuronalen
Netzen aufgezeigt (Kap.2.1). Da sich in dieser Arbeit zwei verschiedene Arten von Termino
logien begegnen, die der Ozeanographie/Meteorologie und die der Neuromformatik, werden
um eines genauen Sprachgebrauchs willen nach der Beschreibung der Verfahren am BSH
wichtige Begriffe erläutert, die im weiteren Verlauf der Arbeit immer wieder benutzt werden.
Auf mathematisch strenge Definitionen wird hierbei verzichtet (Kap.2.2). Da neuronale Netze
mehr mit statistischen als mit hydrodynamischen Verfahren verwandt sind, wird zusätzlich
ein allgemeiner Überblick über statistische Vorhersagemodelle gegeben, die aber am BSH
nicht verwendet werden und nur zum Teil in dieser Arbeit angewandt wurden. Der Überblick
wird hauptsächlich um eines Vergleichs mit den neuronalen Netzen willen gegeben (Kap.2.3).
Der Vergleichsmaßstab ist sehr hoch angelegt. Die neuronalen Netze werden in ihrer Vorher
sagegenauigkeit mit insgesamt sechs verschiedenen Modellen verglichen. Es wird beschrie
ben, wie die Vorhersage am BSH durchgeführt wird und wie sie für die Zwecke dieser Arbeit
abgegrenzt und simuliert wurde. Zum Abschluß des Kapitels wird beschrieben, wie die
Vorhersagegenauigkeit gemessen wird (Kap.2.4).
. 2.1. Verfahren am BSH
2.1.1. Ursprung des Gezeiten- und Wasserstandsvorhersagedienstes
Gezeiten als Naturerscheinungen waren von alters her allen Völkern bekannt, an deren
Küsten der Meeresspiegel ein merkliches periodisches Schwanken aufwies. Man mußte mit
ihnen wie mit den Stürmen leben und sich den Gegebenheiten anpassen. Es gibt nur wenige
Berichte aus den Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung, die einen brauchbaren Hinweis auf
die diesbezüglichen Vorstellungen und Kenntnisse unserer Urahnen geben könnten. Die älte
sten Berichte finden sich bei den antiken Kulturen, die auf den Seewegen Handelsbeziehun
gen unterhielten. Es ist anzunehmen, daß die Kapitäne in der frühen Handelsschiffahrt
durchaus spezielle Gezeitenkenntnisse besaßen. Sie hüteten sie aber sorgsamst und vererbten
sie gewissermaßen nur vertrauenswürdigen Nachfolgern [Annutsch 93].
In Europa behinderten die Dogmen der christlichen Kirche für lange Zeit die naturwis
senschaftlichen Forschungen. Erst im 17. und 18. Jahrhundert erfolgte ein neuer Aufschwung
in der Gezeitenforschung, der im wesentlichen auf die Erkenntnisse von Sir Isaak Newton
(1643 bis 1727) zurückzuführen war. Bedeutende Beiträge zur Entwicklung lieferten David
Bernoulli (1700 bis 1782) und Pierre Simon Laplace (1749 bis 1827). Sie wurden von der
"Englischen Schule" aufgenommen und weiterentwickelt. Ihr gehörte u.a. John Lubbock
(1803 bis 1865) an. Laplace brachte die harmonische Methode voran. Auf Lubbock dagegen
gehen die ersten, wissenschaftlich fundierten Gezeitenuntersuchungen nach der nonharmoni
schen Methode zurück [Lubbock 1831] [Annutsch 93].
2.1.2. Die Gezeiten
Bei der harmonischen Methode, die prinzipiell für alle Gezeitenformen gilt, wird die Gezeit
in mehrere sinusförmige Teiltiden zerlegt, deren Perioden aus den Bewegungen von Erde und
Mond um die Sonne abgeleitet sind. Sie setzt voraus, daß über einen längeren Zeitraum quasi