Seerechtspraxis in Deutschland - ein „Modell 2000“
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EuGH und Internationalem Seegerichtshof in denen sich die Mitgliedstaaten
künftig wie in einer Gletscherspalte einrichten können 23 .
Zum Glück kommt es auch vor, daß gängige Europaformeln im Umfeld von Si
cherheitserfordernissen rechtzeitig auf ihre Tauglichkeit hinterfragt werden. So
hat der EU-Rat in der vorigen Woche im Bereich des Art. 94 Abs. 4 Buchsta
be a SRÜ, wonach jeder Staat seine Schiffe von befähigten Schiffsbesichtigern
besichtigen lassen muß, davon abgesehen, den jeweiligen Klassifikationsgesell
schaften der Mitgliedstaaten in der EU automatisch einen Berechtigungsstatus
zuzusprechen. Vielmehr hat er zugelassen, daß an sie von den Staaten gewisse
konkrete Sicherheitsanforderungen hinsichtlich ihrer vom SRÜ geforderten
fachlichen Befähigung zur Schiffsbesichtigung gestellt werden.
Der Bundesgesetzgeber hat die sich aus dem EG-Recht für das SRÜ ergeben
den Anpassungen bereits im Seeschiffahrtsrechtsänderungsgesetz vom Juli
dieses Jahres innerstaatlich umgesetzt 24 . Das Ergebnis des EU-Ministerrats
der vergangenen Woche wird - beispielsweise hinsichtlich der die Gemein
schaftshäfen bedienenden Fährdienste - weitere das SRÜ berührende Maß
nahmen zur Folge haben.
III.
Damit bin ich bereits bei dem dritten der angekündigten Bereiche, nämlich, im
Bilde gesprochen, der Kunst, von den Seekarten - d.h. hier: der Seerechtsord
nung - beim Navigieren durch die Herausforderungen der Zeit Gebrauch zu
machen. Mit anderen Worten: Es geht darum, die Möglichkeiten auszuschöp
fen, die das internationale Recht und vor allem das SRÜ - sei es durch aus
drückliche Befugnisse, sei es in stillschweigenden Voraussetzungen - für die
Erforschung und wirtschaftliche Nutzung des Meeresraums (hierzu später Herr
Dr. Jenisch) sowie für die schöpferische Ausgestaltung des nationalen Regel
werks und der Praxis zur Verfügung stellt. Dies ist der dynamische Teil des
SRÜ-Geschehens, wo sich immer neu zu erweisen hat, ob und wie die Ziele
dieser die Meere der Welt umspannenden Konvention wirksam, sinnvoll und im
friedlichen Interessenausgleich erreicht werden können. Ich nenne auch hierzu
drei Stichwörter.
1. Das erste ist „Deutsche Jurisdiktion“. Das SRÜ weist den Staaten je nach
ihrer Eigenschaft als Flaggen- und Registerstaaten für ihre Schiffe bzw. Flug
zeuge, als Hafenstaaten für die Benutzung ihrer Häfen, als Küstenstaaten für
bestimmte Bereiche nahe ihrer Küste und schließlich als Fischerei- und Tief
23 Weitere Beispiele siehe Axel Werbke, Umwelt und Schiffssicherheit: Recht der Europäi
schen Gemeinschaften contra Völkerrecht? in: Archiv des Völkerrechts 32 (1994),
S. 405 ff. (vgl. oben Fn. 18).
24 Gesetz zur Änderung von Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Seeschiffahrt vom
15. Juli 1994 (BGBl. I, S. 1552); dazu Axel Werbke, Seeschiffahrtsrechts-Änderungsgesetz:
Generalbereinigung mit neuen Themen, in: HANSA 131 (1994), S. 6 ff.