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Wilfried Erbguth
eher Sicht gewisse Kopfschmerzen. Wie erinnerlich 4 soll Teil XI des SRÜ, der
den Tiefseebergbau betrifft, nach Maßgabe des DÜ als einziges Instrument an
gewendet werden, wobei die Bestimmungen des DÜ in Zweifelsfällen den Inhal
ten des SRÜ vorgehen. Was die Adressaten anbelangt, so ist das DÜ nach sei
nem Art. 3 zwölf Monate lang für die Zeichnung aller Staaten und der interna
tionalen Organisationen offen, die nach Art. 305 SRÜ Mitglied des SRÜ sind
oder werden. Ihren Bindungswillen können die Staaten durch "Zeichnung mit
Bindungswirkung", durch Ratifikation oder durch Beitritt erreichen. Für Staa
ten, die das SRÜ bereits ratifiziert und das DÜ gezeichnet haben, gilt das
"automatische" Verfahren nach Art. 5 des DÜ, d.h. sie gelten als Mitglieder des
DÜ, wenn sie nicht innerhalb von zwölf Monaten ausdrücklich widersprechen.
Um sicherzustellen, daß SRÜ und DÜ zum 14. November 1994 vorläufig an
wendbar 5 sind, erklärt Art. 7 des DÜ für den Fall, daß ein Inkrafttreten nach
Art. 6 des DÜ nicht erreicht wird, das DÜ für diejenigen Staaten bis 1998 für
vorläufig anwendbar, die ihren Bindungswillen erklärt haben.
Völkervertragsrechtlich ließe sich ein solches "flexibles" Vorgehen nur halten,
wenn es sich bei dem DÜ um eine bloße Interpretation des SRÜ handelte. Die
ses Verständnis verfolgen denn auch die "Altratifikanten" und viele Entwick
lungsländer 6 . Dabei bleibt indes übersehen, daß auch nach völkerrechtlichen
Auslegungsgrundsätzen 7 der Wortlaut jeglicher Interpretation unverrückbare
Grenzen setzt 8 . Dem trägt das DÜ nicht Rechnung, weil es keine konkretisie
rende Verdeutlichung des Teils XI des SRÜ verfolgt, sondern eine tiefgreifende
Modifizierung des Tiefseebergbaus beinhaltet. Es handelt sich m.a.W. um eine
massive Vertragsänderung 9 , die völkerrechtlich grds. nur mit dem dafür vorge
sehenen Vertragsänderungsverfahren bewerkstelligt werden konnte 10 - nicht
aber ohne weiteres durch das "etwas ungewöhnliche Verfahren" 11 des DÜ. Man
halte dies auch nicht für eine reine akademische Frage: Das SRÜ ist auf welt
weite Akzeptanz angewiesen 12 ; völkerrechtliche Unebenheiten machen es kon-
4 Jenisch (Fn. 1), S. 9 f.
5 Zur vorläufigen Anwendung von Völkervertragsrecht K. Ipsen, Völkerrecht, 3. Aufl. 1990,
§ 10 Rdn. 29 ff.
6 Jenisch (Fn. 1), S. 10.
7 Vgl. etwa Ipsen (Fn. 5), § 11.
8 Ipsen (Fn. 5), § 11 Rdn. 16.
9 Jenisch (Fn. 1), S. 10; deshalb dürfte es sich völkerrechtlich gesehen auch um keinen Fall
einer sog. späteren Übereinkunft handeln, dazu Ipsen (Fn. 5), § 11 Rdn. 14.
10 Das dem Abschlußverfahren entspricht, vgl. zu letzterem Ipsen (Fn. 5), § 10; zur Abwand
lung völkerrechtlicher Verträge ders., ebd., § 13; dort allerdings, Rdn. 5, auch zur völker
rechtlich insoweit nicht gänzlich durchgesetzten actus contrarius-Theorie; vgl. die aus
drücklichen Bestimmungen über Vertragsänderungen in Art. 312 ff. SRÜ.
11 Jenisch (Fn. 1), S. 10; auch Berenbrok/ Nussbaum, RIW 1994, 910 (910 f.).
12 Vgl. insoweit zum Seerecht allgemein Graf Vitzthum, AöR 119 (1994), 484 (491).