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Full text: Zum hundertsten Geburtstage des Gründers der Deutschen Seewarte Georg von Neumayer [Neumayer-Heft]

Heidke, P,: Neumayer als Deutscher und Gelehrter, 
Etwa gleichzeitig wie mit den Schriften Lists beschäftigte sich Neumayer mit 
den grundlegenden Arbeiten des amerikanischen Hydrographen Matthew Fontaine 
Maury über die Wind- und Meeresströmungen, Bald erkannte er ihre hervor- 
ragende Bedeutung für die praktische Seefahrt. Zunächst waren, um die Wind- 
und Meeresströmungen kennenzulernen, die Kapitäne und Schiffsoffiziere in der 
Anstellung dahingehender Beobachtungen zu unterweisen, alsdann deren Beobach- 
tungen zu bearbeiten; schließlich gestützt auf diese Bearbeitungen die vorteil- 
haftesten Seewege zu ermitteln, Spätere Erfahrung hat gezeigt, daß manche See- 
reisen namentlich vom Kanal nach Australien und zurück durch Ausnutzung der 
so gewonnenen meteorologischen und hydrographischen Kenntnisse zeitlich um 
etwa ein Drittel verkürzt werden konnten. 
Neumayers Studienzeit fiel in die Sturm- und Drangperiode der vierziger 
Jahre des vorigen Jahrhunderts. Begreiflich, daß der für ein großes und macht- 
volles Deutschland begeisterte Jüngling eifrigsten Anteil an allen Tagesereignissen 
nahm; hinzu kamen freundschaftliche Beziehungen zu verschiedenen Führern der 
süddeutschen Volksbewegung. Mit zahlreichen Kommilitonen war Neumayer an 
den Kundgebungen gegen Lola Montez beteiligt. Sehr groß war daher die Ge- 
fahr, daß er zu weit in die politische Bewegung verstrickt wurde. Vor dem 
Schicksal eines politischen Märtyrers hat ihn glücklicherweise sein sehr besonnener 
Vater bewahrt, der ihn rechzeitig zwangsweise nach Tirol in die Krimmler Tauern 
schickte, Bei aller Anhänglichkeit an das angestammte Herrscherhaus seines 
Landes und seiner Verehrung für dasselbe hatte Neumayer doch für die wegen 
politischer Gründe aus dem Vaterland entwichenen Achtundvierziger stets eine 
offene Hand, immer fanden sie eine liebenswürdige Aufnahme bei ihm. Als für 
ihn sehr charakteristisch möge daher die nachstehende Begebenheit auch hier er- 
wähnt werden. Während seines Aufenthaltes in Melbourne anfangs der sech- 
ziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ging Neumayer an einem Steinklopfer 
vorbei, der in deutscher Sprache halblaut seine Unzufriedenheit mit seinem 
Schicksal kundgab. Seine wenig anstellige Art und seine feine schmale Hand, 
die in schroffem Gegensatz zu seiner jetzigen Beschäftigung stand, veranlaßten 
Neumayer zu der Frage: „Nun, Sie scheinen auch noch nicht lange Steine ge- 
klopft zu haben.“ „Nein,“ lautete die grimmige Antwort, „früher habe ich den 
Buben die Hosenböden geklopft.“ Das weitere Gespräch ergab, daß der Arbeiter 
ein früherer akademischer Lehrer aus Süddeutschland war, der 1848 aus poli- 
tischen Gründen seine Heimat verlassen mußte. Neumayer verschaffte ihm eine 
geeignete Beschäftigung am Flagstaff-Observatory, das er damals leitete. Nach 
erfolgter Begnadigung sorgte er für seine Rückkehr nach Deutschland. Viele 
Jahre später bat der zum Professor und Studiendirektor aufgerückte Sohn dieses 
Lehrers Neumayer, er möge seinen todkranken Vater doch aufsuchen. Bei Neu- 
mayers Eintritt ins Zimmer richtete der alte Achtundvierziger sich mühsam 
im Bett auf und begrüßte ihn mit den charakteristischen Worten: „Ich wußte 
doch, daß der Bürger Neumayer noch einmal zu mir kommen würde, ehe ich 
sterbe.“ 
Doch zurück zum jungen Neumayer. Eins haben die stürmischen Revolutions- 
zeiten in ihm für immer zurückgelassen, das war neben innigster Liebe zu seiner 
schönen Heimat, in welcher er in späteren Jahren im Kreise seiner Verwandten 
last regelmäßig seinen Urlaub verlebte, glühende Begeisterung für sein großes 
deutsches Vaterland und die feste Zuversicht, daß die seit Generationen ersehnte 
Einigung aller deutschen Stämme, das ersehnte deutsche Kaiserreich, nahe bevor- 
stehe. Als sein Lebensziel hatte er sich daher gestellt, durch wissenschaftliche 
Arbeit an der Hebung der internationalen Meeresforschung mitzuwirken; den 
Weg hierzu wiesen ihm die Gedanken von List und Maury. 
„Der Deutsche muß sich ein Recht erwerben, in den Reihen der seefahrenden Nationen erscheinen 
zu können, und das Recht kann nur erworben werden durch Verdienst um die Ausbreitung nautischer 
Kenntnisse. Wir sehen Portugiesen und Spanier, Holländer und Engländer, Franzosen und Russen 
und in neuerer Zeit Amerikaner sich ihre maritime Bedeutung anbahnen und erringen durch Leistungen 
auf dem Gebiete der Hydrographie und Geographie. Durch Erweiterung nautischer Kenntnisse, durch 
Entdeckungsreisen wurden zunächst größere Erfolge möglich gemacht, und zum nauderen der maritime 
Geist in der Nation geweckt und gefördert.“
	        
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