Heidke, P.: Neumayer als Deutscher und Gelehrter,
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stets in freundlicher Weise auf die Ansichten anderer einging und auf diese Rücksicht nahm. Auch
von den Lesern dieser Blätter werden wohl manche sich der angenehmen Stunden erinnern, die sie
in der Gesellschaft Neumayers in Streits oder Wiezels Hotel in Hamburg verlebt haben, Gerade
bei solchen Gelegenheiten zeigte sich, daß Neumayer allzeit ein richtiger Sohn der fröhlichen Pfalz
eblieben war; herzliches Lachen konnte man dann von ihm hören, aber anderseits auch ernste ein-
arucksvolle Worte, wenn das Gespräch sich Gegenständen zuwandte, die ihm besonders am Herzen
lagen. Häufig hat Neumayer die Anwesenden durch sein untrügliches Gedächtnis für Personen, Namen,
Jahreszahlen, Monats- und Wochentage von Ereignissen in Erstaunen gesetzt; arge Zweifler haben ge-
iegentlich die Angaben unmittelbar nicdergeschrieben, nachträglich geprüft und stets richtig gefunden.“
Bei der vielseitigen Begabung Neumayers ist begreiflich, daß er in seiner Berufs-
tätigkeit nicht voll aufging, sondern noch Interesse für andere Wissenschaften und
Kunst behielt. Gern hörte er gute Musik, selten versäumte er die Symphonie-
und Oratorien-Konzerte seines Freundes, des Professors Julius von Bernuth in
Hamburg, in dessen Hause er viel verkehrte. Gern sah Neumayer Künstler und
Kunstfreunde bei sich; manchem jungen Talent hat er mit den‘ Lebensweg geebnet.
Wie schon angedeutet, ist Neumayer Junggeselle geblieben: „Wer sich der
Wissenschaft widmen will, darf sich nicht binden; wenn die jungen Leute erst
anfangen, sich zu verloben und zu verheiraten, geht aller Idealismus zum Teufel.“
So äußerte er seinen Standpunkt noch in den mittleren Jahren. Später aber
sprach er offen sein Bedauern aus, daß er ohne nähere Angehörige dastehe, und
meinte in seinem kernigen Humor: „Es ist doch nicht das Richtige gewesen, daß
ich so einsam durch die Welt gelaufen bin; jetzt will niemand etwas von einem
30 alten Kerl wissen.“ ;
Zunächst könnte es scheinen, als wenn Zufall den ungewöhnlichen Lebens-
weg Neumayers bestimmt hätte: Als Süddeutscher und Münchener Student wurde
er erst Seemann, dann englischer Kolonialbeamter, ferner Hydrograph der deut-
schen Admiralität und schließlich Leiter der Deutschen Seewarte. Genauere Be-
irachtung zeigt aber, daß sein Leben ungewöhnlich bewußt aufgebaut ist und
ron vornherein einem Ziel zugestrebt hat. Drei Leitsternen ist Neumayer von
arster Jugend an gefolgt: Deutschland, Wissenschaft und Socefahrt. Aus
der innigen Liebe zur engeren Heimat, der schönen bayrischen Pfalz, erwuchs
ihm unter dem Einfluß der zunächst vergeblichen Bestrebungen zur Einigung
Deutschlands während seiner Jünglingsjahre die Liebe zum einigen deutschen
Vaterland. Dieser Begeisterung hatten die Schriften des Nationalökonomen
Friedrich List die Richtung auf Seeverkehr und Seemacht gegeben. Maurys
bahnbrechende Arbeiten über maritime Meteorologie, die von Gauss und Lamont
über Erdmagnetismus erweckten in dem jungen Physiker die Überzeugung, daß
er berufen und fähig sei zur Mitwirkung, der deutschen Wissenschaft und der
deutschen Seefahrt eine ebenbürtige Stellung neben der englischen und amerika-
nischen zu erobern, Es ist somit Neumayer das seltene Glück eines trotz aller
seiner reichen Mannigfaltigkeit als einheitliches Kunstwerk aufgebauten großen
Lebens zuteil geworden, dessen Spur fortbestehen wird.
Zusammenfassend gilt von Neumayers Leben das Wort unseres großen Ge-
schichtsforschers Leopold von Ranke: „Das Größte, was dem Menschen begegnen
kann, ist es wohl, in eigener Sache die Allgemeinheit zu verteidigen“ und — das
sei hinzugefügt — „zu fördern“.
Neumayer hat das Glück gehabt, in einer Zeit des Aufstieges seines deutschen
Volkes zu leben, - Wirklichkeit sind die Träume seiner Jugend geworden. Nicht
vergönnt war es ihm zwar, die heldenmütige Begeisterung vom August 1914 mit-
zuerleben, als einig das gesamte deutsche Volk den Kampf gegen eine Welt von
Feinden aufnahm. Erspart blieb ihm aber auch, den furchtbaren Zusammen-
bruch vom November 1918 und seine Folgen mitzuerleben. Nötiger als je sind
uns heute Führer, die wie Neumayer als Deutsche warmen Herzens für ihr Volk,
aber klaren und kühlen Kopfes, willenskräftig jeder an seiner Stelle den Wieder-
aufstieg Deutschlands vorbereiten und durchzuführen wissen. Dann wird, wie
unsere vielhundertjährige Geschichte zeigt, auch der Tag nicht mehr fern sein,
wo unter seinem großen Führer das deutsche Volk sich wieder seiner vollen
Freiheit als gleichgeachtetes unter den großen Völkern des Erdballs erfreut.
Nur Männer bestimmen nun einmal die Geschicke der Völker,