Heidke, P.: Neumayer als Deutscher und Gelehrter,
Neumayer wurde zu dessen Direktor ernannt, zwei englische Gelehrte ihm als
Assistenten zugeteilt; gleichzeitig übernahm die Kolonie die Kosten für die
Errichtung eines neuen und größeren Dienstgebäudes, Noch im selben Jahre
erfolgte Neumayers Ernennung zum „Director of the magnetic survey ofthe
Colony of Vietoria“ und seine Berufung als Mitglied des „Exploration
Committee of the Royal Society“ zu Melbourne, Eine erhebliche Erweite-
rung der Aufgaben des Observatoriums und eine noch vielseitigere Tätigkeit
Neumayers war die Folge. An verschiedenen Küstenpunkten wurden selbst-
registrierende Flutmesser aufgestellt, welche die Grundlagen für die Voraus-
berechnung von Ebbe und Flut lieferten. Bald war die ganze Kolonie von
einem Netz meteorologischer Stationen überzogen, deren Beobachtungen
auf dem Observatorium gesammelt und bearbeitet wurden. Mit welcher Sorgfalt
und mit welcher außergewöhnlichen Kritik Neumayer Beobachtungen anzustellen
wußte, dafür ist Beweis, daß er bereits damals zur Anstellung der Temperatur-
beobachtungen die sogenannte tropische Wetterhütte‘) benutzte. Ver-
gleichungen mit dem erst 1886 von R. Assmann konstruierten, einwandfreie
Temperaturmessungen auch bei voller Sonnenstrahlung gestattenden Aspirations-
Psychrometer haben nach Jahrzehnten den Nachweis geliefert, daß unter der
tropischen Wetterhütte auch mit nicht aspirierten Thermometern die wirkliche
Lufttemperatur nahezu einwandfrei gemessen werden kann. Ein großes Verdienst
Neumayers bleibt es, daß er für die deutschen Kolonien von vornherein diese
Thermometeraufstellung vorgeschlagen hat.
Auch die Bahnen von mehr als 2200 Meteoren hat Neumayer während
dieser Jahre mit Hilfe eines von ihm selbst konstruierten Meteorographen
ermittelt. Persönlich unternahm er zahlreiche Expeditionen in das Innere des
Kontinents, um auf ihnen an vielen Punkten Pendelbeobachtungen wie auch
geographische, erdmagnetische und hypsometrische Bestimmungen aus-
zuführen. Erwähnt von ihnen sei nur die vom Oktober bis Dezember 1862 aus-
geführte Durchquerung des Quellgebiets des Murrayflusses wie die Besteigung
des Kosciuskoberges, des höchsten Gipfels der australischen Alpen. Nur der
ungewöhnlichen Umsicht Neumayers und seiner seltenen körperlichen Wider-
standsfähigkeit war es zuzuschreiben, daß sämtliche Mitglieder dieser Expedition,
wenn auch nach zum Teil schweren Gefahren, Melbourne wieder erreichten.
Stets wahr bleiben die Worte, mit welchen er die Beschreibung dieser Expedition
im Jahrgang 1910 der Zeitschrift „Auf weiter Fahrt“ schließt:
„Diese Besteigung des Mount Koseiusko, die in das System der übrigen Beobachtungen in Ver-
bindung mit der magnetischen Vermessung von Victoria eingeflochten wurde, hat für mich in der
Erinnerung noch heute nach vielen Jahren einen Reiz. Unerachtet der widrigen Verhältnisse, die es
zu überwinden galt, und der zeitweilig drohend aussehenden Gefahren gelang es mir, die Reise zu
einem befriedigenden und ersprießlichen Ende zu führen, und kann ich es mir nicht versagen, dies
zu einem guten Teile dem Festhalten an einem wohldurchdachten Plane sowie namentlich an den
etroffenen Abmachungen zuzuschreiben, wenn auch zeitweise Klugheit es erforderte, anscheinend von
Senselben abzuweichen, Ich sage anscheinend, weil der in Erfahrung gereifte Geist, wenn Umstände
es unmöglich machen, unverändert an dem vereinbarten Plane festzuhalten, immer wieder auf die
wohldurchdachte Grundlage, von der er ausging, zurückkehren wird, sobald die Umstände es ge-
statten. Dies kann der Jugend nicht genug als zu befolgender Grundsatz für das Leben empfohlen
werden, nicht nur auf Expeditionen oder Reisen, sondern auch als eine wichtige Lebensregel für das
Befolgen eines Bildungs- und Lebensganges, Ein Nichtbeachten dieser Lebensregel vermag unter
Umständen die besten Absichten für die Befolgunug einer, namentlich von dem Gewöhnlichen etwas
seitabliegenden Richtung zu vereiteln, wie das leicht an Beispielen nachgewiesen werden könnte.“
Erstaunlich ist, daß Neumayer neben seiner rastlosen wissenschaftlichen und
amtlichen Tätigkeit noch die Zeit zu einem regen gesellschaftlichen Verkehr
fand. Als Vorsitzender des „Deutschen Vereins“ war er unbestritten dessen
geistiger Mittelpunkt. Zuerst bei ihm sprach jeder Hilfe suchende Deutsche vor,
und er war sicher, bei Neumayer Rat und Unterstützung zu finden. Vielen hat
er die Schaffung einer neuen Existenz ermöglicht, vielen der aus Deutschland
entflohenen Achtundvierziger Amnestie erwirkt und ihnen die Rückkehr in die
*) Eine Beschreibung ‚derselben. hat Neumayer in seiner „Instruktion für meteorologische Beob-
de in der Äquatorialzone“ im „Deutschen Kolonialblatt‘“ 1892 S. 565 K 573 ver-
Affentlicht.